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Eichelhäher und Eichel – ein nützliches Duett für den Waldbau der Zukunft © A. Schilling

Wald und Wild

With a little help from my friends

Ein Artikel von Dr. Karoline Schmidt | 30.06.2020 - 19:25
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Die Eiche könnte in der Zukunft eine noch wichtigere Rolle im Waldbau spielen. © A. Schilling

Wussten die Beatles, dass ihr Refrain die heimliche Hymne der Eiche ist? Ohne ein bisschen Hilfe kommt sie nicht weiter und wird – im wahrsten Sinn des Wortes – auch nicht „high“. Ihre Freunde: Eichelhäher. Im Herbst sammeln sie reife Eicheln in ihrer dehnbaren Speiseröhre, fliegen damit weg – manchmal kilometerweit – und verstecken ihre Leibspeise einzeln als Wintervorrat im Boden. Dort sind die Keimbedingungen günstig und es keimen auch viele der Eicheln, die während des Winters nicht gefressen wurden. Und wenn dann die Keimlinge auch nicht gefressen werden, wachsen einige von ihnen zu „Hähereichen“ heran.

NÜTZLINGE IM WALD
Das weiß man freilich seit Langem: Schon 1626 wird der Eichelhäher als ein „gantz nützlicher Vogel [… der] hüpsche junge Eychbäume erpflanzet/und auffwachsen machet“ beschrieben. Im Umkreis von fruktifizierenden alten Eichen sorgen die Häher wie eh und je für die Verjüngung. Allerdings fliegen sie mit ihren Eicheln nur selten weiter als 5 km, meist nur einige Hundert Meter.

Für die Eiche ist das eine große Wegstrecke: Waldmäuse, ihre wohl zweitwichtigsten Verjüngungshelfer, vergraben die Eicheln in einem Radius von höchstens 20 m. Doch für viele Nadelreinbestände, in die man nun Laubbäume einbringen will, sind alte Eichen für Hähersaaten außer Reichweite. Die hitze- und trockenheitstoleranten Pfahlwurzler sind in Hinblick auf eine wärmere, trockenere und stürmischere Zukunft wieder gefragt, nur: Wo keine Eichen sind, fliegen keine Eicheln zu. Also muss der Förster selbst „hüpsche junge Eychbäume“ pflanzen oder säen. Das Säen hat Vorteile: Die Wurzelentwicklung ist ungestört, es gibt keinen Pflanzschock, die Bäume sind trockenresistenter und da sie sich während des Wachstums an die Standortsbedingungen anpassen können, ist ihre Stabilität höher. Bevor die Förster säen können, müssen sie jedoch den Boden für die Saat aufbereiten: fräsen, pflügen, mulchen, rechen, das Saatgut sammeln, auf Unversehrtheit kontrollieren und sachgerecht lagern.

VERJÜNGUNGSMÖGLICHKEITEN
Die arbeitsaufwendige Bodenaufbereitung kann man sich auch ersparen und Eicheln aus einem Druckfass oder mittels Wasserwerfern in den Boden verjüngungsbereiter Waldflächen schleudern. Mitarbeiter der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft haben das ausprobiert. (Vielleicht inspiriert von M. R. Chettleburgh, einen britischen Studienautor, der – in den 1950er-Jahren – als Ursache für Eichenverjüngung neben Eichelhähern auch junge Burschen erwähnt, die einander im Herbst mit Eicheln bewerfen.) Die Idee dahinter war, nach Sturm- oder Käferkatastrophen ohne Schlagräumung sofort mit der Saat beginnen zu können, um den Wald rasch und vielfältig zu verjüngen. Technisch machbar ist diese Saatmethode, durchgesetzt hat sie sich nicht. Die arbeitsaufwendige Bodenaufbereitung kann man sich auch ersparen, wenn man mit dem Eichelhäher zusammenarbeitet wie mit einem „umgekehrten“ Jagdhund: Er findet nicht, sondern versteckt, er bringt nicht, sondern trägt fort.

Begonnen haben damit in den 1950erJahren Förster im Norddeutschland, um Kiefernreinbestände durch natürliche Verjüngung in Eichen-Kiefern-Mischwälder – die dort natürliche Waldgesellschaft – umzuwandeln: Wo in der näheren Umgebung keine fruktifizierenden alten Eichen mehr standen, legten sie auf erhöhten Ablagen Eicheln aus.

Die Eichelhäher reagierten, wie erwartet, versteckten die Samen in den lichten Wäldern und die Waldumwandlung begann. Eichelhäher sind fantastische Helfer: Sie müssen nicht geschult werden, sie fliegen wortwörtlich auf Eicheln. Überall und jederzeit. Sie nehmen zwar auch Bucheckern, Haselnüsse, Walnüsse und allerlei andere Samen, bevorzugen aber eindeutig Eicheln.

Sie verstecken – und pflanzen – viele davon: Je nach Verfügbarkeit vergräbt jeder Vogel im Herbst zwischen 2.000 und mehr als 5.000 Eicheln – dafür arbeitet er unermüdlich von Sonnenaufgang bis nach Sonnenuntergang.

Die Häher erkennen auch wurmstichige Eicheln sofort und wählen sorgfältig nur die einwandfreien aus: Nur die guten kommen ins Kröpfchen und dann in die Erde. Dazu legen sie die Eicheln in kleine natürliche Vertiefungen oder stochern mit ihrem Schnabel ein etwa 1.5 bis 3 cm tiefes Loch in den Boden und klopfen die Nussfrüchte einzeln mit einigen Schnabelhieben hinein. Weil sie dann die Stelle mit Blättern, Rindenstückchen oder Moos zudecken, schützen sie die Eichel vor dem Austrocknen, der größten Gefahr für die Keimung.

EICHELN MIT BESENDERUNG
Über diese Verstecke weiß man recht genau Bescheid, denn Forscher haben winzige Sender in die Eicheln implantiert und ihr Schicksal verfolgt. Die Vögel verstecken die Eicheln an für die Eiche idealen Standorten. Dies sind vorzugsweise lichte Kiefernwälder, generell Bestände mit lichtdurchlässigen Kronen, halb offene Bereiche, wie etwa aufgelassene Weiden oder gemähte Wiesen, straucharme Waldränder – Lebensräume, in denen die Eichel gut keimen kann und die den Ansprüchen der Lichtbaumart Eiche entgegenkommen.

Etwa fünf Jahre lang mussten in den norddeutschen Revieren die Hähertische beschickt werden, um (bei angepassten Schalenwildbeständen oder Zaunschutz) die angestrebte Eichendichte von etwa 6.000/ha zu erreichen.

Inzwischen gibt es in vielen deutschen Forstbetrieben „Eichelhäher-Tankstellen“ und der Eichelhäher ist ein vom brandenburgischen Ministerium anerkannter Helfer, der den Waldumbau effektiv und kostengünstig unterstützen kann. 

EICHELHÄHER SIND FANTASTISCHE HELFER: SIE MÜSSEN NICHT GESCHULT WERDEN UND FLIEGEN WORTWÖRTLICH AUF EICHELN.


Dr. Karoline Schmidt

STIFT ALTENBURG ALS VORREITER
In Österreich ist Stift Altenburg der erste Forstbetrieb, der auf den Eichelhäher setzte, anstatt selbst Eichen zu setzen: Seit 2016 liegen jeden Herbst in einem 300 ha großen Fichten-Kiefern-LärchenBestand auf hundert kleinen Plattformen Eicheln und Bucheckern zur freien Entnahme für die bunten Vögel. Wie Bernhard Zotter in seiner (noch zu veröffentlichenden) Masterarbeit auch mit Daten belegt, ist diese Saat aufgegangen – und damit der Plan von Forstdirektor Schmid, mithilfe der Häher auch dort, wo keine Muttereichen und -buchen mehr stehen, diese Laubbäume in Nadelholzreinbestände einzubringen.

Auch die Forstverwaltung Quellenschutz der Stadt Wien arbeitet an den Hängen des Schneebergs erfolgreich mit Hähern zusammen. Bis in die 1960erJahre wurden dort Schwarzkiefernbestände zur Harzgewinnung genutzt, vermeintlich konkurrierende Laubhölzer gezielt entfernt. Sie fehlen, denn ihr Laub fördert die Entwicklung einer Humusschicht, die in Quellenschutzgebieten aufgrund ihrer Wasserfilter- und Speicherfunktion besonders wichtig ist. Im Talboden auf 500 bis 600 m Seehöhe stehen an den Waldrändern noch einige alte Eichen. Sie sind die Mutterbäume für zahlreiche junge Hähereichen, die inmitten vielfältiger Naturverjüngung wachsen. Die Förster haben nämlich bereits vor 60 Jahren begonnen, die Schwarzkiefernbestände mittels Saum- und Kleinkahlschlägen in Mischbestände umzuwandeln. Die dort wachsenden, mittlerweile 50-jährigen Hähereichen fruktifizieren bereits und sind Mutterbäume für neue Eichengenerationen.

Da die Eiche vor allem auch in Hinsicht auf den Klimawandel eine vielversprechende Baumart ist und um ihre natürliche Verbreitung zu beschleunigen, hat Bernhard Mang vom Forst- und Landwirtschaftsbetrieb der Stadt Wien – angeregt durch die Erfolge des Stiftes Altenburg – im Mastjahr 2018 begonnen, Saattische in entmischten Beständen bis 1000 m Seehöhe aufzustellen und die Saat der alten Eichen den Hähern vorzulegen. Ebenso bietet er in der Umgebung von entmischten Fichtenbeständen den Hähern Bucheckern auf Plattformen an, um mit ihrer Hilfe eine Naturverjüngung mit „Häherbuchen“ zu erhalten. Mit geringem personellem und finanziellem Aufwand werden Nadelwaldreinbestände so in naturnahe Mischwaldbestände umgewandelt. Wie hoch der Geldwert dieser wertvollen Ökosystemleistung ist, hat man in Schweden für die Pflanzleistung eines Häherpaares umgerechnet: Die Eichenverjüngung würde, von Menschen erbracht, pro Hektar zwischen 2.100 und 9.400 US-$ kosten.

Die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) kalkuliert 250 kg Eicheln oder 25.000 bis 30.000 Stück pro Hektar. Das schaffen drei bis sechs Häher pro Hektar – kostenlos. Man fragt sich, warum Eicheln überhaupt noch von Menschen gesät oder auch gesetzt werden. Vielleicht, weil aus den Hähersaaten keine hochqualitativen Bäume werden? Sowohl für das Stift Altenburg als auch im Quellschutzgebiet der Stadt Wien geht es vorerst darum, zukünftige Mutterbäume wachsen zu lassen, die Baumartenvielfalt und den Boden zu fördern. FDir. Schmid bietet seinen Hähern deshalb neben Eiche und Rotbuche auch Roteiche, Rosskastanie, Walnuss, Baumhasel und Linde an und erweitert alljährlich den Versuch mit verschiedenen Samen.

KALORIENREICH WIE SCHOKOLADE
Aber die Frage nach der forstlichen Qualität von Hähereichen ist dennoch nicht unwichtig. Die Antwort: In nahezu allen Untersuchungsgebieten sind sie von guter bis sehr guter Qualität. Freilich, Häher pflanzen anders als Förster, in ungleichmäßiger und geringerer Stammzahl als die angestrebten 5.000 bis 7.000/ha bei Pflanzung. Hohe Stammzahlen sind aber nicht unbedingt notwendig, da auch in der Jugend weniger gut geformte Eichen „im Lauf der Umtriebszeit noch eine ausreichende Qualität erlangen können“, wie die Forstwissenschaftler Bernd Stimm und Thomas Knocke festhalten. Durch Kosteneinsparungen in der Verjüngungsphase fällt zudem die Kosten-Erlös-Bilanz der Hähersaaten, über ein Bestandesleben hinweg kalkuliert, zumeist günstiger aus als die der Eichen-Kunstverjüngung.

Warum aber verstecken Eichelhäher Eicheln dort, wo sie leicht auskeimen können? Diese Samen, die immerhin so kalorienreich wie Schokolade sind, sind doch ihr Vorrat. Sollten Eichelhäher ihre Eicheln nicht vor allem dort ablegen, wo sie lange haltbar sind?

Tannenhäher machen genau das: Sie verstecken ihre Zirbensamen an für die Keimung ungünstigen Stellen. Warum machen Eichelhäher das nicht auch?