FVA-Kolloquium

Seltene Baumarten

Ein Artikel von Robert Spannlang | 11.01.2022 - 11:14

„Bei diesem Fichten-Provenienzversuch nahe Schöntal sind über Dreiviertel der Bäume durch Trockenheit und Käfer ausgefallen“, erklärte Manuel Karopka, Leiter des Bereiches Forstpflanzenzüchtung der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA), als er den Reigen der Fachbeiträge des Kolloquiums startete. Im Vordergrund des Bildes, das er dabei auf den Bildschirmen der Teilnehmer*innen einblendete, sah man vor einer Gruppe absterbender Fichten im Hintergrund einen vitalen Laubbaum. „Dieser Speierling wurde bei Begründung der Versuchsfläche 1983 gepflanzt. Man könnte sagen: Während die Fichte zu 80% ausfiel, hat der Speierling zu 100% überlebt“, formulierte der FVA-Experte augenzwinkernd. „Ohne weiter zu polemisieren, ist das ein schönes Bild dafür, wie wichtig seltene Baumarten bei den rauer werdenden Bedingungen künftiger klimatischer Verhältnisse sein können.“ 

Vielversprechende Gastbaumarten

Früher in Deutschland häufiger anzutreffende Baumarten seien heute aus unterschiedlichen Gründen gefährdet: „Eiben wurden im Zuge der Umstellung von Mittel- auf Hochwälder vielfach ausgedunkelt, Schwarzpappeln haben sehr unter den Flussbegradigungen gelitten und heute jegliche waldbauliche Bedeutung verloren“, so der Fachmann. Nach einem Überblick über Projekte zu heimischen seltenen Baumarten wie Ulmen, Speierling, Eiben, Schwarzpappeln, Sandbirke, Flaumeiche, der frühblühenden Traubenkirsche und Wildobstarten ging der Forscher auf Gastbaumarten und -provenienzen über. Bei Nussarten hätte man bei Versuchen auf mehreren Flächen in Baden-Württemberg und Bayern „spannende Ergebnisse“ erzielt – insbesondere bei Hybridnuss, aber auch bei Baumhasel, Hickory, Walnuss aus der Himalaya-Region, der Mandschurischen Nuss und der Schwarznuss, führte Manuel Karopka aus. Als Gastprovenienz könnte die slawonische Eiche die Präsenz dieser Baumart in Lagen wie dem Rheintal stärken. Weißtannen aus der Karpatenregion würden eine hohe Trockenheitstoleranz nachgesagt. „FVA-Pflanzversuche scheinen das bisher zu bestätigen, nicht jedoch die kolportierten astronomischen Zuwächse bei der aktuellen Modebaumart Blauglockenbaum“, betonte Manuel Karopka. 

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Seltene Baumarten sind gefragt – ob heimische oder fremdländische (im Bild: Abies grandis) © R. Spannlang

Klimafit weil biodivers

Ergebnisse über aktuelle Biodiversitätsprojekte der Forschungsanstalt für die Bereitstellung herkunftsgesicherten Vermehrungsgutes deuteten darauf hin, dass „die Flatterulme deutlich weniger Probleme mit dem Ulmensterben hat“ als andere Ulmenarten. Flatterulme, Feldahorn und Elsbeere wurden in geeigneten Beständen auf ihre genetische Vielfalt untersucht und abgepfropft oder abgesät, um klimataugliches Vermehrungsgut produzieren. Bei der Elsbeere sei der Aufbau einer Samenplantage aus Pfropflingen bereits gelungen, bei den anderen beiden Baumarten werde noch daran gearbeitet. „Geeignete Flächen für Samenplantagen werden noch gesucht – vorzugsweise Acker- oder Wiesen-Erstaufforstungsflächen ab 0,5ha“, wandte sich Manuel Karopka an Waldbesitzer im Publikum, die an einer Samenplantage unter fachlicher Begleitung der FVA auf ihren Flächen Interesse hätten. Hohes Potenzial im Klimawandel wird auch der Sommerlinde und dem Spitzahorn zugesprochen. 

Jörn Erbacher von der FVA stellte in der Folge dar, nach welchen Kriterien er mögliche Erntesaatgutbestände in Baden-Württemberg oder vielversprechende Einzelbäume („Plusbäume“) ausfindig machte. Im Vordergrund stünden dabei insbesondere Geradschaftigkeit, aber im Hinblick auf den Klimawandel werde auch die Vitalität immer wichtiger. „Wenn ein Baum an einem Standort phänotypisch gut entwickeln konnte, wo wir ihn jetzt auffinden, dann hat er in den vergangenen 20 Jahren des Klimawandels schon eine gewisse Vitalität unter Beweis gestellt, die ihn für die Zukunft empfiehlt“, beantwortete Manuel Karopka eine Teilnehmerfrage. Für die Hainbuche stünde ein ähnliches Projekt bevor, wurde angekündigt. Zum vermeintlichen Spannungsfeld zwischen Bevorzugung konkreter phänotypischer Merkmale und der Erhaltung genetischer Vielfalt meint er: „Das eine schließt das andere definitiv nicht aus. In Baden-Württemberg etwa gibt es einige voneinander relativ isolierte Elsbeere-Vorkommen. Wenn wir diese in Samenplantagen kombinieren – was ja mit der Plusbaum-Auswahl durchaus bezweckt wird – erhalten wir damit ein Vermehrungsgut, das eine extrem hohe genetische Vielfalt aufweist und damit natürlich auch ein sehr hohes Anpassungspotenzial mit sich bringt.“

Ähnlich wie am Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) in Wien werde auch an der FVA von einer eigenen Arbeitsgruppe genetische Untersuchungen an der Esche untersucht, Plusbäume gesucht, abgepfropft und vermehrt. „Im Sinne der Suche einer Nadel im Heuhaufen wollen auch wir (gegenüber dem Eschentriebsterben, Anm.) resistente Eschen finden, um sie als wirtschaftlich und ökologisch interessante Baumart im Klimawandel zur Verfügung zu haben“, schloss der FVA-Forscher.

 

Steckbrieflich gesucht

Den imaginären Blick aus einem fahrenden Zug irgendwo in Mitteldeutschland tat Dr. Axel Albrecht für die Teilnehmer. „Wenn wir dabei die vielen Schadflächen aus 2018, 2019 und 2020 sehen und uns vergegenwärtigen, dass für unsere Hauptbaumarten die geschätzte Eignung in den nächsten Jahrzehnten in der grafischen Darstellung von der Symbolfarbe Grün für ,geeignet‘ immer mehr auf Rot für ,ungeeignet‘ wechseln wird, müssen wir sagen: Schön langsam gehen uns die Ideen aus. Diese Suche nach alternativen Baumarten ist dringend.“ Gleichzeitig räumte der Forscher an der FVA-Abteilung für Waldwachstum ein, dass über viele davon noch zu wenig systematisches, vergleichbares Wissen vorliege. Dies sei die Motivation zur Erstellung der Steckbriefe für Alternativbaumarten gewesen, die nun schon in ihrer revidierten Fassung 2.0 vorliegt. 

Insgesamt umfasst das Register nun 33 Arten und zwei Referenzbaumarten. Sie wurden kategorisiert nach „Seltene heimische Arten“, „europaheimische Arten“ und „außereuropäische Arten“. Auf Basis einer Fachliteratur-Studie wurden nun 37 Kriterien erhoben und in den fünf Gruppen „Anbau“, „Ertrag“, „Ökosystemleistungen“, „Holzverwendung“ und „Risiken“ zusammengefasst. Neu in der aktuellen Fassung 2.0 seien, so Axel Albrecht, die Kategorie „Konstruktionsbereich (Bauholz, Massivholzwerkstoffe)“ sowie die Tatsache, dass bei der Rohdichte nun nach Nadel- und Laubholz unterschieden wurde.

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Baumarten mit ihren Kriterien-Durchschnittswerten sowie ihrer Eignung bei Ziel-Szenarien, Werte auf Schulnoten-Basis © A. Albrecht et al., FVA

Hilfen im Kriteriendschungel

Im Rahmen einer multikriteriellen Analyse wurde jedes Kriterium für jede Baumart nach dem Schulnotensystem bewertet. Am Ende konnten die „Einzelnoten“ dann zu einer kondensierten „Gesamtnote“ zusammengefasst werden. Nun wurden von Axel Albrecht und seinem Team alle behandelten Baumarten aufgelistet und diese Gesamtnote für jede der fünf Gruppen angeführt. Dies erhöhe ebenso die Eignung als Entscheidungsgrundlage für die individuelle Baumartenwahl wie ein weiteres Konzept: die Zielpräferenzen nach unterschiedlichen Szenarien. Jede einzelne der fünf Gruppen wurde nach vier Szenarien unterschiedlich gewichtet: „gleiche Gewichte“, „Risiken vermeiden“, „Ökosystemleistungen stärken“ und „hohe Erträge erwirtschaften“.

In einer Gesamttabelle (sh. oben) sind die Baumarten sowohl mit ihren Durchschnittswerten nach den fünf Gruppenkriterien und nach den vier Szenarien ersichtlich, als auch mit einem Vollständigkeitswert versehen – je nachdem, wie gut diese Bewertungen in der Literatur abgesichert sind. Mit den roten Kreuzen sind die jeweils fünf schlechtesten, mit den grünen Häkchen die fünf besten Baumarten je Szenario gekennzeichnet.

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Stärken und Schwächen einiger Baumarten © A. Albrecht et al., FVA

Neue Aspekte bei der Bewertung

Nun könne man die Baumarten nach der Anzahl ihrer Top 5-Nennungen reihen. „Gegenüber der Steckbriefe 1.0 haben sich in der Version 2.0 doch deutliche Unterschiede in dieser Reihung ergeben“, erklärte Axel Albrecht. Damals wären der Tulpenbaum und die Baumhasel ganz vorne gewesen. Ersterer wäre in der aktuellen Version auf Basis neuerer Veröffentlichungen und neu dazugekommener Kriterien durch die vergleichsweise geringere Holzqualität, Zweitere aufgrund von Einschränkungen bei Holzdichte abgestuft worden. „Hier hat sich wohl auch die neue Aufgliederung nach Nadel- und Laubholz bemerkbar gemacht“, merkte der FVA-Forscher an. Dazu würden auch neu hinzugekommene Baumarten wie etwa die Flatterulme oder der Bergahorn bisweilen arrivierte in der Hitliste verdrängen. Auch Besserstellungen im Vergleich zur Version 1.0 hätte es gegeben – etwa bei der Roteiche, deren Konkurrenzkraft man durch reduzierte Pilz- und Schadinsekt-Risiken heute besser einstufe.

„Man kann auf diesem Weg recht rasch einige Stärken und Schwächen von Baumarten feststellen, wie sie in der Literatur festgehalten wurden. Aber noch fehlt hier natürlich der Standortsaspekt. Hier werden wir bald neue Werkzeuge vorstellen – etwa im Sinne von standortsensitiven Steckbriefen“, verspricht Axel Albrecht zum Schluss.

Link zur FVA-Broschüre "Artensteckbriefe 2.0 - Alternative Baumarten im Klimawandel" (pdf)