„Der Wald mit seinen Wirkungen auf den Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen ist eine wesentliche Grundlage für die ökologische, ökonomische und soziale Entwicklung Österreichs (§ 1 Abs 1 ForstG)“. Das ist der erste Satz des Forstgesetzes und für jeden Waldbewirtschafter eine klare Sache. Der multifunktionelle Wert der Waldökosysteme ist auch einer breiten Öffentlichkeit seit langem bewusst und auch entsprechend forstgesetzlich gesichert.
Das Verständnis für den enormen ökologischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wert auch von Einzelbäumen oder kleineren Baumgruppen hinkt hingegen sichtlich hinterher: Wenn, dann wurde meist nur der spirituelle Wert alter Bäume geschätzt – bezeichnend ist jedoch, dass im Haftungsfall ein Baum auch heute noch als Bauwerk verstanden und beurteilt wird.
Das allgemeine Verständnis für den Wert von Bäumen hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen und ist mittlerweile auch politisch unbestritten. Nicht nur, weil die Vielfalt an Ökosystemleistungen anerkannt wurde, sondern auch wegen ihres Beitrags zu unserer Lebensqualität: zur landschaftlichen Schönheit und zum allgemeinen Wohlgefühl des durchschnittlichen Österreichers – und seiner Touristen.
Stellt man dieses gewachsene Verständnis jedoch der Entwicklung des Umgangs mit Bäumen gegenüber, könnte man meinen, diese enorme Bedeutung von Bäumen sei zweitrangig und der Fokus läge vielmehr darauf, Bäume vorrangig als mögliche Gefahrenquelle zu sehen und zu entfernen. Alte, großkronige Bäume und Alleen verschwinden zunehmend aus dem öffentlichen Straßenraum und aus Parks, sie werden zurechtgestutzt oder gleich gefällt und bestenfalls durch junge Bäumchen mit Säulenwuchs (nur ja keine Starkäste!) ersetzt. Ehemals schmale Waldwege werden zu breiten Wandertrassen freigeschnitten, Bäume entlang von Straßen beidseitig in der Breite einer Baumlänge entfernt.
Aktuelle Massnahmen
- Neuer § 1319b ABGB, der klarstellt, dass Bäume nicht mit Gebäuden gleichzusetzen sind, und worin die Gemeinwohlverantwortung für Bäume betont wird; noch nicht entschieden ist ein Haftungsausschluss für leichte Fahrlässigkeit – in Ausarbeitung
- Adaptierung der relevanten ÖNormen – in Ausarbeitung
- Leitfaden für Baumverantwortliche – Entwurf liegt vor und ist kurz vor der Fertigstellung
- Ausbildungs- und Schulungsprogramme in enger Kooperation mit der Waldfachschule Traunkirchen – werden bereits angeboten
- Waldrandhaftung sowie Fragen zur Haftung bei Freizeiteinrichtungen im Wald – dringender Handlungsbedarf!
Wie konnte es dazu kommen?
Die Frage der Haftung für das „Versagen“ von Bäumen hat in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Früher war die Zahl der Fälle eher überschaubar, wiewohl die seit den 1950er-Jahren durch die ständige Rechtsprechung der Gerichte auch auf Bäume ausgedehnte Bauwerkshaftung nach § 1319 ABGB und die damit einhergehende Beweislastumkehr schon damals für Unverständnis sorgte – wenn auch meist nur in Fachkreisen. Der zunehmende Leidensdruck speziell auf Seiten der Baumhalter einerseits, die unklare, zumeist auf bundesdeutsche Entscheidungen gestützte Rechtsauslegung gepaart mit blühendem Halbwissen andererseits, sorgten für breit gestreuten Klärungsbedarf. Dieser wurde zunächst vor allem durch „Baumtage“ forstlicher Ausbildungsstätten und Veranstaltungen des Linzer Baumforums bedient, im Februar 2011 dann auch durch den Ratgeber „Der Baum im Nachbarrecht“ (Herbst/Kanduth/Schlager).
Die Wende läutete ein Urteil des Obersten Gerichtshofs (OGH 29.11.2011, 2 Ob 203/11h) ein, das bestätigte, dass die Stadt St. Pölten als (ehemalige) Besitzerin eines während des Sturmtiefs „Emma“ auf ein vorbeifahrendes Kraftfahrzeug fallenden Baumes für die dadurch verursachten Schäden haftet. Mit der Konsequenz, dass realistische Erfolgsaussichten zu einer deutlichen Zunahme von Schadenersatzforderungen und auch Haftungsklagen im Zusammenhang mit Bäumen geführt haben und führen. Die dadurch geschürten Haftungsängste haben wiederum zu einem zunehmenden vorsorglichen Fällen oder Zurückschneiden von Bäumen geführt, was natürlich den mannigfaltigen Interessen an vitalen, natürlichen Baumbeständen diametral entgegensteht.
Diese Entwicklung rief auch den Umweltschutz auf den Plan. Die Umweltschutzabteilung / MA 22 der Stadt Wien ging der Sache auf den Grund und gelangte zum Ergebnis, dass Bäume vor allem wegen der unsicheren Rechtslage gefällt oder zurechtgestutzt würden, um zu verhindern, dass man selbst oder seine Mitarbeiter sich zivil- wie auch strafrechtlich verantworten müssten. Betroffen waren und sind Bäume außerhalb des Waldes ebenso wie Waldbäume.
Studie der Uni Linz
Die dazu von der Wiener Umweltschutzabteilung gemeinsam mit den anderen baum- und waldverantwortlichen Fachabteilungen beauftragte Recherche des Instituts für Umweltrecht der Universität Linz zu „Umweltrechtlichen Haftungsfragen“ (Wagner/Jandl/Sautner/Halbig) bestätigte im Kern die bekannten Bedenken und brachte auch eine Reihe von Handlungsempfehlungen.
Zu den wesentlichen Ergebnissen der Studie gehört, dass in den letzten Jahren eine deutliche Zunahme von Haftungsklagen, auch im Zusammenhang mit Bäumen, feststellbar war. Die Judikatur habe sich insgesamt zwar nicht verschärft, einzelne Erkenntnisse hätten jedoch zur Verunsicherung geführt. Zudem wurde eine gewisse Mythenbildung rund um die gerichtlichen Entscheidungen konstatiert, die oftmals überbordende Schnitt- und Fällungsmaßnahmen zur Folge hatte.
Bestätigt hat die Studie auch die Gefährlichkeit der analogen Anwendung der für Gebäude gedachten Bestimmungen des § 1319 ABGB auf Bäume und das dadurch maßgeblich zulasten der Bäume verschärfte Haftungsregime, insbesondere der Beweislastumkehr. Die Studie empfahl daher in erster Linie zwei legistische Klarstellungen: Einerseits eine eigene Bestimmung für Bäume im ABGB, die klarstellt, dass der auf Gebäude bezogene § 1319 und auch die darin enthaltene Beweislastumkehr keinesfalls auf Bäume anwendbar ist und andererseits die Erweiterung des Haftungsprivilegs im Forstgesetz, sodass man auch auf Forststraßen und ausgewiesenen Wegen für von Bäumen ausgehende Schäden nicht haftet. Ein entsprechender Entwurf einer ABGB – Novelle befindet sich bereits in Ausarbeitung. Hinsichtlich der Waldrandhaftung besteht dringender Handlungsbedarf.
Nicht zuletzt die Ergebnisse dieser Studie waren Bestätigung und Motivation, um die Initiative zum Schutz von Bäumen und Wäldern vor überbordenden Sicherungsschnitten fortzuführen – eine Initiative, die insbesondere auf Vernetzung der unterschiedlichen Interessengruppen und deren Wissen setzt.
Erfolgreiche Fachtagungen
Den Auftakt bildete eine Fachtagung im Stift Seitenstetten, die im November 2017 vom Linzer Baumforum gemeinsam mit der Wiener Umweltschutzabteilung organisiert wurde. Erstmals diskutierten mehr als 100 Fachexperten aus unterschiedlichsten Disziplinen über das Thema der Baumhaftung, das offenbar jeder im Rahmen des jeweiligen Aufgabenbereiches und Zugangs berührte.
Eine weitere Fachtagung folgte 2019 in Linz, an der bereits mehr als 150 Experten und Institutionen aus den verschiedenen Fachgebieten teilnahmen. Sichtbarstes Ergebnis war die Gründung der „Österreichischen Baumkonvention“ als Format für einen regen Austausch und das Bekenntnis für nachhaltige Lösungen zum Schutz der Bäume. Mittlerweile wurde die Baumkonvention von 81 namhaften Institutionen und Personen unterzeichnet (https://www.wien.gv.at/umweltschutz/baumhaftung.html und www.baumkonvention.at). Ein weiteres Ergebnis ist der „Leitfaden für Baumverantwortliche“, der als einfache Handlungsanleitung konzipiert ist, somit weder die rechtlichen Vorgaben noch die betreffenden ÖNormen ersetzen, sondern vielmehr als unterstützendes und erklärendes Instrument Anwendung finden soll. Der Leitfaden wird voraussichtlich Mitte 2022 Interessierten zur Verfügung gestellt werden können.
Fachsymposien mit Höchstrichtern
Auf Anregung der Vertreter des Justizministeriums fanden zwei Fachsymposien statt, um sich auch mit Vertretern der befassten Richterschaft zum Thema Baumhaftung auszutauschen.
Die Ergebnisse des ersten vom Nationalpark Donau-Auen 2019 in Hainburg ausgerichteten Fachsymposiums wurden von einem hochrangigen Kodifikationsgremium in sieben Thesen zusammengefasst und publiziert (Stabentheiner/Büchl-Krammerstätter: „Kriterien für eine differenzierte Baumhaftung“). Besonders hervorgehoben sei in diesem Zusammenhang die These 1 (Auszug): „...dass die betroffenen Verkehrskreise das Risiko einer Haftung für einen Schadensfall - trotz an sich zurückhaltender Rechtsprechung - überbewerten. In der Praxis führt das dazu, dass die potenziell Haftungsverantwortlichen zum Teil überbordende Vorsichtsmaßnahmen treffen, die in ihrer Intensität keine Grundlage in den rechtlichen Gegebenheiten finden...“
Dementsprechend verspricht das Regierungsprogramm 2020-2024 die Evaluierung der haftungsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen bei der Kontrolle und Pflege von Bäumen und Wäldern mit dem Ziel, Österreichs Bäume und Wälder zu erhalten und unnötiges Zurückschneiden oder Fällen von Bäumen zu verhindern (Wegehalterhaftung).
Auf den Ergebnissen einer Onlinekonferenz Anfang 2021 aufbauend, widmete sich das zweite Fachsymposium 2021 im Waldcampus Traunkirchen vertieft einzelnen Instrumenten. Themen waren vor allem der das Regierungsprogramm umsetzende Entwurf des Justizministeriums eines neuen § 1319b ABGB sowie der Entwurf eines Leitfadens für Baumverantwortliche.
Auch hier sprachen sich die Teilnehmer für die verstärkte Betonung sowohl der Gemeinwohlverantwortung als auch der Eigenverantwortung jedes Einzelnen aus. Offen blieb jedoch die Frage, ob gleich wie für Wege hier für Schäden durch Bäume, die keine Waldbäume sind, im Falle leichter Fahrlässigkeit nicht gehaftet werden muss. Aus Sicht der Verfasser korrespondiert dieser Haftungsausschluss mit den anlässlich der Beratungen zu § 1319a ABGB (Wegehalterhaftung) 1975 angestellten Überlegungen, ist fachlich begründet und würde zu Vereinheitlichung und Rechtssicherheit beitragen.
Haftung im Wald
Während also die entsprechende Novellierung und Klarstellung zum Schutz der Bäume im ABGB bereits konkrete Formen annimmt, ist eine entsprechende Novelle des Forstgesetzes bisher offenbar (noch) nicht geplant. Das Hauptargument hierbei ist, dass der § 176 ForstG ohnehin ein „Haftungsprivileg“ im Wald vorsähe und lediglich auf ausgewiesenen Wegen und Forststraßen gehaftet würde - und da nur eingeschränkt für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz.
Allerdings hat gerade das Symposium in Traunkirchen gezeigt, dass im Zusammenhang mit der Haftung an Waldrändern, bei Freizeiteinrichtungen und -nutzungen besonders im Wald die größten Rechtsunsicherheiten auftreten und in Ermangelung klarer Regelungen im Forstgesetz sehr unterschiedliche Rechtsansichten der Experten bestehen. Die Lösung und Klarstellung dieser offenen Fragen wird demnächst in einer kleineren, aus Teilnehmern des Symposiums zusammengesetzten Expertenrunde versucht.
Ausblick
Die gemeinsame Herausforderung ist nach wie vor, unsere Baumbestände künftig noch besser zu sichern und zu erhalten und dennoch Menschen vor Risiken, die sie nicht erkennen oder vermeiden können, zu schützen. Dabei wird ein großer Fokus auf das Gemeinwohl einerseits und die Eigenverantwortung samt entsprechender Bewusstseinsbildung andererseits, zu legen sein. „Nullrisiko“ gibt es in der Natur eben nicht, und es kann nicht stets jemand anderer verantwortlich sein, wenn etwas passiert.
Dazu sind wir auf einem guten Weg, den wir weiterhin gemeinsam gehen sollten. Ein Weg, der auf fachlichem Austausch und gemeinsamer Lösungsfindung auf gleicher Augenhöhe basiert. Ein Bündel von einander ergänzenden wirksamen Instrumenten steht zur Verfügung und wird auch genutzt. Dazu gehören legistische Klarstellungen, ÖNormen, einfache Handlungsanleitungen („Leitfaden“) für Baumverantwortliche, vertiefende Fachsymposien und Tagungen, Schulungen, Vorträge und weiterführende Artikel in rechtswissenschaftlichen und forstlichen Fachzeitschriften.
Denn: Unsere bisherige Arbeit zeigt zum einen deutlich, wie groß der Bedarf war und ist, Rechtssicherheit für die Sicherung und Erhaltung unserer Bäume zu haben. Zum anderen haben sich die aktive Beteiligung so vieler unterschiedlicher Personen und Institutionen, der stets wertschätzende Umgang miteinander, das Eingehen auf Bedenken und unterschiedliche Rahmenbedingungen und der „gute Spirit“, der diese Initiative von Beginn an begleitet, als Garanten für gute und tragfähige Lösungen erwiesen.