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Lebensgrundlage Totholz im Wald © Umweltdachverband

Biodiversität

In „Tot“holz steckt Leben

Ein Artikel von Tina Leonhard, Umweltdachverband | 02.02.2024 - 08:17
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Exkursionsteilnehmende im Naturwaldreservat Johannser Kogel © Umweltdachverband

Kurz vor 9 Uhr treffen sich die Exkursionsteilnehmenden an einem kühlen Herbsttag am Nikolaitor, um die Vielfalt des Lainzer Tiergartens, der ein Teil des Wienerwaldes ist und vom Forst- und Landwirtschaftsbetrieb der Stadt Wien (MA 49) betreut wird, in den Blick zu nehmen. Schon bei der Begrüßung wird ausdrücklich betont, wie elementar funktionierende Ökosystemdienstleitungen in unseren Wäldern sind – nicht zuletzt für das Klima in unseren Städten und damit auch uns Menschen: Ohne die kühlende Funktion des Wienerwaldes wäre es in der Stadt an Sommertagen um bis zu 6°C wärmer.
Der Wienerwald per se ist mit rund 105.000 ha die grüne Lunge am Rande Wiens und ein beliebtes Naherholungsgebiet. 1941 wurde der Lainzer Tiergarten zum Naturschutzgebiet erklärt, in dem grundsätzlich jeder Eingriff verboten ist, außer er dient der Pflege und Erhaltung der Schutzgüter oder der naturverträglichen Nutzung als Erholungsgebiet. Seit 2005 ist er auch eine der besonders geschützten Pflegezonen im Biosphärenpark Wienerwald. Aufgrund seiner Bedeutung wurde er im Jahr 2007 per Verordnung der Wiener Landesregierung zum Europaschutzgebiet erklärt und ist damit Teil des EU-weiten Natura 2000-Netzwerks.

Naturwaldreservate – einfach mal machen lassen!
Mit seinem über 400 Jahre alten Eichenwald stellt das 1972 eingerichtete und teilweise eingezäunte Naturwaldreservat Johannser Kogel im Lainzer Tiergarten eine Besonderheit im Wiener Raum dar. Mit dem Ziel, die biologische Vielfalt als Grundvoraussetzung für das nachhaltige Bestehen des Waldes zu erhalten und zu verbessern, ist das 40 ha große Gebiet eines von 193 Reservaten in Österreich. Wie die Exkursionsteilnehmenden im Laufe des Vormittags erfahren, werden damit im Rahmen des Österreichischen Naturwaldreservate-Programms des Bundes unter Betreuung des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) ausgewählte Waldflächen der natürlichen Entwicklung überlassen. Ziel ist auch, jede in einem der 22 Wuchsgebiete Österreichs vorkommende Waldgesellschaft durch mindestens ein Reservat zu erfassen, um eine gewisse Repräsentativität der natürlichen Waldgesellschaften zu gewährleisten. Im Fokus stehen dabei immer Naturschutz, Biodiversität, Bildung und Forschung.

Totholz ist wichtiger Klimafaktor
Schon auf halbem Weg zum Johannser Kogel wird deutlich, dass die Waldbewirtschaftung im Lainzer Tiergarten auf Resilienz und Naturnähe ausgelegt ist: unterschiedliche Baumarten, Dauerwaldbewirtschaftung, ein geländeangepasstes Netz an Rückegassen, der Einsatz von Pferden bei der Holzernte und dadurch minimale Bodenverdichtung sowie eine stark reduzierte Wilddichte – durch all diese Maßnahmen und die daraus entstehende Vielfalt wird der Wald als Ökosystem auf die Auswirkungen des Klimawandels vorbereitet.
Dabei spielt auch das konsequente Totholzmanagement eine essenzielle Rolle. Das belassene Totholz dient nicht nur als Lebensraum und Nahrungsquelle für verschiedenste Organismenarten sowie zur Bereitstellung von organischem Material und Nährstoffen, sondern auch als Regulator des Mikroklimas sowie als Wasser- und Kohlenstoffspeicher.

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Die kleinschuppige Eichen-Säulenflechte (Cladonia parasitica) besiedelt fast ausschließlich morsches Eichenholz in den Tieflagen Ostösterreichs. Die gefährdete Art konnte auch im Lainzer Tiergarten gefunden werden. © Umweltdachverband

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Der gefährdete Alpenbock (Rosalia alpina) ist einer der schönsten, größten und seltensten Käfer Österreichs. Zur Entwicklung der Larven braucht er frisch abgestorbenes Buchenholz, das auch im Lainzer Tiergarten vorkommt. © Umweltdachverband

Von Käfern und Flechten
Am Johannser Kogel angekommen geht es für die Teilnehmenden um die Maßnahmen zur Förderung der Käfer- und Flechtenvielfalt auf Totholz. Doch warum gerade Käfer und Flechten? Für beide Artengruppen ist der Johannser Kogel mit seinem Totholzreichtum ein idealer Lebensraum. In den vergangenen Jahrhunderten sind durch den Ressourcenhunger im Zuge der industriellen Revolution vielerorts Urwälder sowie alt- und totholzreiche Wälder verschwunden. Seltene totholzliebende Käfer und Flechten sind heute vorrangig in den letzten verbliebenen Altbaumbeständen anzutreffen.
Von den hierzulande 2.671 registrierten Flechten-Taxa leben 420 auf Totholz. Davon gelten laut Roter Liste 125 Arten als gefährdet. Weiters existieren 8.000 verschiedene Käferarten in Österreich, von denen etwa 1.400 totholzbewohnend sind. Davon konnten 159 den Gefährdungsstufen „Ausgestorben“, „Unmittelbar vom Aussterben bedroht“ oder „Stark gefährdet“ laut Roter Liste zugewiesen werden.

Zur Förderung der totholzbewohnenden Käfer und Flechten empfehlen Experten daher unter anderem folgende Maßnahmen:

  • Erhalt der letzten Urwaldreste und urwaldnahen Bestände
  • Belassen von Biotopbäumen und Altholzinseln in Wirtschaftswäldern
  • Schaffung von Habitat- beziehungsweise Substratvielfalt
  • Erhöhung der Totholzmenge, insbesondere von stehendem und starkem Totholz
  • Erhalt des Waldklimas über viele Baumgenerationen
  • Vernetzung von Waldlebensräumen
  • Schutz von alten, frei stehenden Einzelbäumen, auch außerhalb des Waldes

Biodiversität & Klimaschutz: Dialog schlägt Brücken
Mit einer abschließenden Flechten-Nachsuche für interessierte Exkursionsteilnehmende endet die letzte Exkursion, die vom Umweltdachverband mit Unterstützung des Österreichischen Walddialogs durchgeführt wurde und im Rahmen einer Dialogveranstaltungsserie des Waldfonds-Projektes „Forstwirtschaft und Waldbiodiversität im Zusammenhang mit dem Green Deal“ stattfand. Seit Januar 2023 wurden im Rahmen des Projektes vier Veranstaltungen durchgeführt, die sich unterschiedlichen Schwerpunkten, Planungsinstrumenten und Maßnahmen zur Erhöhung der Waldbiodiversität widmeten. Zahlreiche Stakeholder wurden dabei an einen Tisch gebracht, um sich auszutauschen, neue Perspektiven aufzuzeigen, sich zu vernetzen und gemeinsam zukunftsweisende Lösungsansätze zu diskutieren, um unsere Wälder trotz Klimawandels in all ihren Funktionen zu erhalten. Es ist zu hoffen, dass dieser offene Dialog auch gelebt wird und Brücken schlägt – für mehr Stabilität der Waldökosysteme und Klimaschutz.