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Die Emotionen gehen beim Thema Wolf oft hoch. Aber ist das überhaupt notwendig? © Pixabay

KLAUS HACKLÄNDER, BOKU

Glaubensfrage Wolf?

Ein Artikel von Stefanie Hilberer | 03.12.2019 - 15:23
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Universitätsprofessor Dr. Klaus Hackländer mit seinem neuen Buch © S. Hilberer

Auch in der Forstwirtschaft spricht man über den Wolf. Viele Kollegen erhoffen sich durch die zunehmende Anzahl der Wölfe in Österreich eine Reduktion der erhöhten Schalenwildbestände. Auf der anderen Seite befürchtet die Jägerschaft, durch die Rückkehr des Wolfes erschwerte Jagdbedingungen vorzufinden und den Abschuss, insbesondere des Rotwildes, nicht mehr erfüllen zu können. Aber wird der Wolf diesen Wünschen beziehungsweise Befürchtungen überhaupt gerecht? Und wie steht es um unsere eigene Sicherheit?

Der Universitätsprofessor und Leiter des Departements für Integrative Biologie und Diversitätsforschung, Dr. Klaus Hackländer von der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien, gibt im exklusiven Interview Antworten auf diese Fragen. 

Der gebürtige Pfälzer kam nach dem Studium der Verhaltensökologie in Marburg an der Lahn im Jahr 1997 nach Wien, wo er an der Universität Wien in Zoologie promovierte und seit 2005 an der BOKU tätig ist.

Sehr geehrter Herr Dr. Hackländer, seit 2010 sind über 20 Bücher rund um das Thema Wolf erschienen. Warum haben Sie sich dazu entschlossen, noch ein weiteres Buch über den Wolf herauszugeben?
Der Verlag Leopold Stocker ist auf mich zugekommen und hat mich gebeten, über dieses wichtige Thema ein Buch zu schreiben. Zuerst stand ich der Sache skeptisch gegenüber, da es am Markt bereits mehrere Bücher zu dieser Thematik gibt. Nach einigen Recherchen entschloss ich mich aber dennoch, diese Aufgabe in Angriff zu nehmen, da mich die meisten Bücher sehr frustriert haben. Entweder waren die Bücher pro oder contra Wolf geschrieben, aber nie objektiv und realistisch – und gerade diese emotionslose Betrachtungsweise brauchen wir in der Diskussion rund um den Wolf. Viele Bücher gehen nicht auf die Problematik ein, sondern verwässern das Thema und schreiben darüber, wie toll der Wolf ist und welche Vorbildfunktion er auch für das Leben der Menschen haben kann. Oder sie gehen in die andere Richtung und verteufeln den Wolf. Beide Extreme sind für den Umgang mit dieser Herausforderung nicht förderlich, dazu braucht es eben eine Betrachtung der Sachlage aus verschiedenen Blickwinkeln. Eine einseitige Darstellung verfälscht die Problematik nur noch weiter. Die Idee hinter dem Buch ist eine Betrachtung aus verschiedenen Blickwinkeln, um die Situation für alle Betroffenen zu veranschaulichen. Einzug in das Buch fanden auch die beiden Studien, die auf der BOKU durchgeführt wurden. Ebenso wurde auch die Agrarökonomie nicht außer Acht gelassen und beleuchtet, was beispielsweise der Herdenschutz kostet. Auch der Blick auf den Naturschutz sollte in das Buch Einzug finden. Gibt es eventuelle Konflikte zwischen zwei Schutzgütern? Was bedeutet die Rückkehr des Wolfes für die Biodiversität der Almen? Welche Schutzgüter sind mehr wert und warum? Diese Aspekte wollte ich alle mit in das Buch einbauen, was aus meiner Sicht auch gut gelungen ist.

Wie kam es überhaupt zur Ausrottung der Wölfe in Österreich und was waren die Hauptgründe, die die Menschen zu dieser Tat bewegten?
In der Vergangenheit war die Anwesenheit der Wölfe für die Landwirte, die den Großteil der Bevölkerung ausmachten, teilweise existenzbedrohend. Wenn ein Wolf die wenigen Nutztiere, die man damals hatte, angriff, waren die Vorräte für den Winter in der damaligen Subsistenzwirtschaft bedroht. Damals ging es wirklich ums harte Überleben. Teilweise gab es Prämien und große Anerkennung, wenn ein Wolf getötet wurde. Die damaligen Tötungsarten würden nicht dem heutigen Tierschutz entsprechen, deshalb kann man auch nicht von einer Jagd auf diese Tiere sprechen, die Wölfe wurden regelrecht bekämpft. Gift und Wolfsgruben waren keine Seltenheiten unter den Tötungsmethoden. All dies führte dann schließlich zum Aussterben des Wolfes. Die Restbestände zogen sich in weniger besiedelte Bereiche zurück und überlebten dort, beispielsweise in den Karpaten, dem Dinarischen Gebirge und den Apenninen, indem sie lernten, den Menschen aus dem Weg zu gehen.

Die Wolfspopulation scheint sich in Österreich in den vergangenen Jahren ziemlich regeneriert zu haben. Worauf ist diese Erholung zurückzuführen?
Das eine ist natürlich der internationale Schutz, den die Wölfe in Europa genießen. Wir haben zwei Richtlinien, die Berner Konvention aus den 1970er-Jahren und die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union, die für diesen strengen Schutz verantwortlich sind. Durch die EU-Mitgliedschaft Österreichs wurde der strenge Schutz in die nationale Gesetzgebung übernommen. Ein weiterer Vorteil war der Fall der Mauer beziehungsweise des Eisernen Vorhangs, der vorher schon eine wesentliche Barriere für die Rückkehr des Wolfes aus den osteuropäischen Ländern, in die er sich zurückgezogen hat, darstellte.

Was ist an den Gerüchten dran, dass Wölfe teilweise von Tierschützern ausgesetzt werden? Gibt es dazu wissenschaftliche ­Belege?
Man weiß, dass viele Einzelwölfe aus Gefangenschaften, Zoos, Wildparks etc. ausgebrochen sind. Genetische Untersuchungen bestätigen dies. Für illegale Aussetzungen gibt es aktuell aber keine Nachweise. Aussetzungen sind hierzulande auch nicht notwendig, da die Wölfe auf ihrer Suche nach neuen Territorien Tausende Kilometer zurücklegen und, wie man am Beispiel Österreich sieht, sich auch so ansiedeln können.

Die Rückkehr des Wolfes zwingt die Forstwirtschaft zu einem Systemwechsel und zu einer engeren ­Kooperation mit anderen Gesellschaftsgruppen, beispielsweise der Jagd.


Univ.-Prof. Dr. Klaus Hackländer, Departementleiter, BOKU Wien

In den Medien wird häufig von Managementplänen für Wölfe gesprochen. Wie soll man in Österreich aber tatsächlich mit dem Wolf umgehen?
Wir brauchen generell für alle Arten, mit denen wir in der Kulturlandschaft zusammenleben wollen, einen Managementplan. Manche Tierarten brauchen dabei unsere Unterstützung und manche müssen auch durch den Menschen reguliert werden. Den Wolf muss man aus der gesamtmenschlichen Sicht managen. Die KOST (Koordinierungsstelle für Braunbären, Luchs und Wolf) hat bereits im Jahr 2012 einen Managementplanvorschlag für den Wolf entwickelt. Salzburg ist allerdings das erste Bundesland in Österreich, welches einen Managementplan für den Wolf auch in die Tat umgesetzt hat. Solche Managementpläne gehören in jedem Bundesland realisiert und mit Plänen der Nachbarstaaten vernetzt. Ansonsten kann das unter Umständen kontraproduktiv sein, wenn verschiedene Staaten andere Vorstellungen haben. Definitiv steht fest, dass irgendetwas getan werden muss, da sich sonst Betroffene, vor allem die Landwirte, von uns im Stich gelassen fühlen. Mit einer reinen Regulation ist es aber auch nicht getan, da ansonsten Abschüsse von sogenannten „Problemwölfen“ zur Regel werden, Managementmaßnahmen aber trotzdem noch nicht vorhanden sind. Am wichtigsten wäre es, den Schutzstatus, den der Wolf in der EU genießt, rechtlich an seinen derzeitigen Bestand anzupassen und damit zuzulassen, dass er gemanagt werden kann, ohne den günstigen Erhaltenszustand dabei zu gefährden.

Aus anderen Ländern bekommt man mit, dass ein Zusammenleben von Mensch und Wolf durchaus konfliktfrei möglich ist. Woran liegt das und ist ein friedliches Zusammenleben in Österreich auch vorstellbar?
Die Bevölkerung in den dünner besiedelten Ländern, in denen der Wolf nie zur Gänze ausgerottet wurde, hat über die Jahrzehnte und Jahrhunderte gelernt, wie man mit dem Wolf zusammenlebt. Der Wolf wird in diesen Gebieten regelmäßig bejagt und meidet daher auch die menschlichen Siedlungen. Die Landwirte in diesen Regionen haben durch den möglichen Abschuss auch das Gefühl, dass sie gegen den Wolf etwas unternehmen können und ihnen nicht die Hände gebunden sind. Auch in Österreich ist ein konfliktfreies Zusammenleben denkbar, wenn der Wolf seine Scheu vor dem Menschen behält. Durch die Möglichkeit einer regelmäßigen Bejagung und die Absenz der Tollwut sollte diese natürliche Scheu auch erhalten bleiben.

Kann sich die Erholung der Wolfspopulation auch auf das Schalenwild auswirken? Ist eine Reduktion der erhöhten Wild­bestände denkbar?
Wir könnten in Österreich gar nicht so viele Wölfe haben, dass sie den Schalenwildbestand wirklich reduzierten. Bei der Jägertagung im Jahr 2016 habe ich einmal ein Beispiel präsentiert, wie sich eine erhöhte Wolfspopulation auf den Rotwildbestand auswirken könnte. Wenn wir auf der österreichischen Staatsfläche 500 Wölfe hätten, die sich ausschließlich von Rotwildfleisch ernähren würden, würden diese 500 Wölfe maximal 8% des Frühjahrsbestandes des Rotwildes abschöpfen. Jedes Jahr haben wir aber rund 30% Zuwachs. Allein dieses Beispiel veranschaulicht die geringen Auswirkungen der Wölfe auf die Höhe des Schalenwildbestandes. Der Mensch bleibt also nach wie vor der wichtigste Regulator des Schalenwildes. Allerdings wirkt sich der Wolf sehr wohl auf die Zeit-Raum-Nutzung des Schalenwildes aus. Er trägt dazu bei, dass sich das Schalenwild in bestimmten Bereichen nicht mehr wohlfühlt und diese Orte meidet. In Wolfsgebieten wurde aber auch beobachtet, dass sich die Rotwildrudel vergrößerten, die Stücke generell aufmerksamer wurden und sich näher bei Siedlungen aufhielten. Winterfütterungen und ähnliche Lenkungsmaßnahmen können durch die Anwesenheit des Wolfes nicht mehr so leicht durchgeführt werden. Der Wolf zwingt nicht nur zu einem Systemwechsel in der Landwirtschaft, sondern auch in der Forst- und Jagdwirtschaft. Auch bei der Reduktion des Schalenwildes durch Bewegungsjagden ist Vorsicht geboten. Eine neue Studie zeigt, dass tödliche Übergriffe auf Jagdhunde hauptsächlich an den Grenzen des Wolfsterritoriums stattfinden. Eine Präventionsmaßnahme wäre die Ausbildung der Jagdhunde in Wolfeinübungsgattern, wie es auch beim Schwarzwild im Ausland üblich ist, um die Jagdhunde auf eine mögliche Wolfsbegegnung richtig vorzubereiten.

Nimmt der Wolf auch Einfluss auf die österreichische Forstwirtschaft?
Die Rückkehr des Wolfes zwingt die Forstwirtschaft zu einem Systemwechsel und zu einer engeren Kooperation mit anderen Gesellschaftsgruppen, beispielsweise der Jagd. Der Wolf ist allerdings nicht der einzige Faktor, der einen Systemwechsel in der Forstwirtschaft hervorruft. Wenn der Wolf in Österreich wirklich sesshaft werden sollte, müssen die Schalenwildbestände noch dringender reduziert werden, um größere Schäden in den Wirtschaftswäldern zu vermeiden.

Wie sehen Sie persönlich die Situation?
Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Wolf eine tolle Herausforderung. Er stellt ein großes Problem für viele Menschengruppen dar und hat das Potenzial, einen Systemwechsel voranzutreiben. Der Wolf produziert gesellschaftspolitische Fragen, deren Beantwortung ein außerordentliches Geschick und Wissen erfordert. Die Entscheidung muss allerdings die Politik fällen, die Wissenschaft kann nur aufzeigen, wie sich welche Tätigkeiten auswirken. Des Weiteren muss die Diskussion rund um den Wolf mit weniger Emotionen vonstattengehen.

Herzlichen Dank für das Gespräch!