Schutzwald_Vordernberg.jpg

Im Steirischen Vordernberg muss der Schutzwald immer genau beobachtet werden. © R. Spannlang

Interview Dr. Florian Rudolf-Miklau

Schutzwald schützen

Ein Artikel von Robert Spannlang | 01.07.2021 - 10:01
Miklau_Porträt.jpg

Dr. Florian Rudolf-Miklau ist Leiter der Abteilung Wildbach- und Lawinenverbauung und Schutzwaldpolitik im Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus (BMLRT). © BMLRT

Seit 2016 steht Dr. Florian Rudolf-Miklau der Abteilung Wildbach- und Lawinenverbauung im Bundesministerium vor. Lesern der Forstzeitung ist der Experte für seine regelmäßig erscheinenden Fachbeiträge im Naturgefahren-Schwerpunktheft bekannt.

Herr Rudolf-Miklau, ist nicht gerade der Schutzwald von den Klimawandelfolgen besonders bedroht?
Wenn man Phänomene wie Trockenheit und die sekundären Schäden – auch den Borkenkäfer – in Betracht zieht, würde ich doch meinen, dass der Wirtschaftswald sogar etwas mehr bedroht ist. Trockenheit setzt den Wäldern außeralpin noch mehr zu, wo der Borkenkäfer aufgrund seiner Verbreitung bessere Chancen hat. In den Hochlagen ist die Bedrohung durch den Borkenkäfer glücklicherweise noch nicht so hoch. Andererseits treten in den Hochlagen Phänomene auf, mit denen wir in der Vergangenheit nicht in diesem Umfang zu rechnen hatten – etwa Sturm- und Schneebruch-Katastrophen. Seit dem Sturm Vaia 2018 sind Kärnten und Osttirol die Hotspots. Regional kann es dazu kommen, dass der Schutzwald völlig zerstört wird – etwa in der Gemeinde Kals oder im Lesachtal. Regional ist natürlich dann die Bedrohung der Schutzwälder wesentlich höher als die des Wirtschaftswaldes.

Starkregen-Ereignisse sind ja auch im Zunehmen. Ist zunehmende Erosion durch Starkregen in der letzten Zeit im Wald messbar gestiegen – gerade in den Hoch­lagen?
Die Zunahme der Starkregenereignisse und dadurch ausgelöster Erosion ist deutlich zu beobachten. Wir hatten etwa bereits im April den ersten Murgang in Kärnten. Dies ist aus einem Sturmschadgebiet abgegangen und man sieht ganz deutlich, dass in Wäldern, die ihre Schutzwirkung verlieren, irgendwann dann auch der Wurzelhorizont versagt. Es kommt zum Aufreißen des Bodens und die Erosion setzt ein. Wenn der Wald wieder aufkommt, tritt sie natürlich wieder in den Hintergrund. Insofern handelt es sich um Erosionszyklen, die eng mit der Schutzwirkung des Waldes zusammenhängen. Man kann also nicht sagen, dass flächendeckend die Erosion nur aufgrund des Klimawandels zunimmt.

Sie haben Kärnten und Osttirol als Hotspots erwähnt. Bilden sich da Südstau­lagen immer stärker aus? Kommt von der Adria jetzt so viel mehr Niederschlag als früher?
Es scheint diese Entwicklung zu geben, ja! Wir hatten in den 2000er-Jahren eine sehr starke Häufung von sogenannten Vb-Wetterlagen. Es handelt sich um großen Tiefdruckwirbel, die große Niederschlagsmengen von Süden und Südosten auf Österreich steuern und zu den großen Hochwasserereignissen 2002, 2005 und 2013 führten. Aktuell sehen wir eine Häufung von niederschlagsreichen Südwest-Strömungen aus dem westlichen Mittelmeer. Ob es da ein gewisses Muster gibt, ist Gegenstand der Klimaforschung. Dass grundsätzlich durch die Verschiebung der Westwindbänder und der Veränderung der circumglobalen Strömungen die Tiefdrucksysteme sich häufiger in den Mittelmeerraum verlagern, ist aber ein Faktum. 

Miklau_P1010608.jpg

Schutzwald in Vordernberg (Steiermark)

Wie sehr wird der Schutzwald in Ihrer Wahrnehmung durch Wildeinfluss bedroht? 
Das Nebeneinander zwischen Wildstand und Wald im Allgemeinen bzw. Schutzwald im Besonderen ist ein jahrhundertealtes Thema. Grundsätzlich gilt, dass wenn sich Wald verjüngen soll, nur ein bestimmter Wildstand „tragbar“ ist. Bei höheren Wildständen sind meist große Schäden an der Verjüngung die Folge. Das Phänomen der Katastrophen ist natürlich, dass durch Freistellung großer Flächen plötzlich ein überproportionales Äsungsangebot geschaffen wird. Dann nehmen die Wildstände natürlich auch aus diesem Grund zu. Die wesentliche Erkenntnis der jüngsten Strategieprozesse – angefangen von der Mariazeller Erklärung bis zu der derzeit laufenden Arbeitsgruppe „Strategische Weiterentwicklung von Investitions- und Förderkriterien in flächenwirtschaftlichen Projekten unter Berücksichtigung jagdbetrieblicher Aspekte“ – ist, dass wir eigentlich das Revierdenken verlassen müssen. Zukünftig müssen wir in Lebensräumen oder in wildökologischen Planungsräumen denken. Man sollte dazu übergehen, über die Reviergrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Kritische Gebiete wie Schutzwälder, die eines besonderen Verjüngungsschutzes bedürfen, könnte man dann schwerpunktmäßig bejagen, wenn es gleichzeitig im Habitat bzw. der Planungsregion Ruhezonen gibt. Es muss dann ein Wildstand-Monitoring geben, das übergreifend durchgeführt wird. Alle anderen Vorgehensweisen werden grundsätzlich scheitern, weil Wildtiere sich nicht an Reviergrenzen halten und ihren Lebensraum beanspruchen. Ich glaube, da sind wir in den zuvor genannten Strategieprozessen eigentlich schon auf einem ganz guten Weg.

Wie könnte man kleinen Waldbesitzern helfen, die von Gemeindejägern abhängig sind? Sollte die Jagdverantwortung auch beim kleineren Wald wieder mehr in die Hand des Besitzers wechseln, weil der am besten weiß, was in seinem Wald los ist?
Im Grundsatz ist es ein zielführender Ansatz, die forstliche und jagdliche Behandlung eines Gebietes in eine Hand zu legen. Das ist auch unser Credo im Schutzwald. Es gibt ja auch dazu Modelle bei den Österreichischen Bundesforsten oder teilweise in Vorarlberg. Viel wichtiger ist aber die Erkenntnis, dass man jagdliche Fragen nicht im Kleinen lösen kann. Es wird wahrscheinlich nicht funktionieren, wenn nicht wirklich alle forstlich und jagdlich Tätigen einer Talschaft – das wäre vielleicht eine gute Betrachtungseinheit – eine gemeinsame Vorstellung entwickeln, wie viel Wild dort sein kann, wo es sich aufhalten kann, welche Zonen tabu sind und wo man sehr intensiv jagen muss. Das ist eigentlich der einzige Ansatz, der zum Ziel führt, alles andere ist immer eine Problemverlagerung über die Reviergrenze. Der eine Nachbar macht das eine, der andere etwas anderes. Und dann steht das Wild natürlich dort, wo es bessere Bedingungen vorfindet. Das ist völlig natürlich. Den idealen Schutzwald und den idealen Wildstand wird es sowieso nie geben!

Wie spielt da das neue Waldfondsgesetz ­hinein? Glauben Sie, dass es gelungen ist, die Bedürfnisse des Schutzwaldes im Waldfonds zu berücksichtigen?
Ich glaube, diese Bilanz sollte man ziehen, wenn der Waldfonds einmal umgesetzt ist. Auf alle Fälle positiv ist, dass es erstmals einen wirklich stark gefüllten Fonds für die Entwicklung der Forstwirtschaft gibt. Der Nachteil dieses Fonds ist: Er ist auf vier Jahre limitiert. Wichtig wäre eine nachhaltige Finanzierung, da Schutzwaldpflege und -bewirtschaftung langfristig und auf viele Jahrzehnte ausgelegt sind. Aber wir haben glücklicherweise ja auch den Katastrophenfonds als dauerhafte Investitionsbasis mit den flächenwirtschaftlichen Projekten im Rahmen der Wildbach- und Lawinenverbauung. Der große Vorteil, ist, dass wir die bestehenden Finanzierungsinstrumente gut kombinieren können. Der Waldfonds wird dort eingesetzt, wo vor allem der Grundeigentümer in der Schutzwaldbewirtschaftung selbst aktiv werden kann. Die flächenwirtschaftlichen Projekte helfen dort, wo im Objektschutzwald aufwendige und technisch anspruchsvolle Maßnahmen die Kapazitäten des Grundeigentümers übersteigen. Wir hoffen, dass es in Österreich weiterhin zu einer kontinuierlichen Investition in den Schutzwald kommt. Deshalb hat die Ministerin 2019 auch das Aktionsprogramm „Wald schützt uns“ ins Leben gerufen. 

Alle forstlich und jagdlich Tätigen einer Talschaft sollten eine gemeinsame Vorstellung dazu entwickeln, wie viel Wild dort sein kann und wo es sich aufhalten kann.


Dr. Florian Rudolf-Miklau, Leiter der Wildbach- und Lawinenverbauung im BMLRT

Wie steht Österreich mit seinem Schutzwald im Vergleich zu anderen Alpen-Anrainerstaaten da? 
Wir haben vor Kurzem mit der FAO ein Schutzwald-Assessment im europäischen Waldraum durchgeführt. Es wird demnächst auch eine Publikation dazu geben. Und da zeigt sich ganz klar, dass Österreich und die Schweiz hier die höchsten Standards haben. Es sind sicher andere Länder wie Bayern oder auch Slowenien ebenfalls intensiv im Schutzwald tätig. Wir haben generell den Eindruck, dass Schutzwald überall in den Alpenländern ein riesiges Thema ist. Auch in Südosteuropa, wo gerade eine Arbeitsgruppe gemeinsam mit den Westbalkanstaaten zur Schutzwirkung der Wälder entsteht, besteht hohe Interesse an der Thematik. Wir sehen insgesamt großes Potenzial, das Thema international besser zu positionieren. Gerade im Kontext der Wald­erhaltung kommen im Rahmen der Europäischen Forststrategie und der Biodiversitätsstrategie große Herausforderungen auf uns zu.

Österreich stellt sich voll hinter die Multifunktionalität des Waldes. Aber jetzt sind einzelne Funktionen immer mehr gefordert – eben die des Schutzwaldes oder die des Erholungswaldes. Ist das nicht bereits eine gewisse Entmischung von Waldfunktionen? 
Wissenschaftler sprechen hier von Segregation. Als Gegenpol dazu gab es in Österreich lange die Vorstellung, der Wald könne „überall alles“ – ausgehend von der alten Kielwassertheorie. Das sind natürlich völlig konträre Standpunkte. Ich gebe Ihnen recht, dass es in der internationalen Forstpolitik sehr stark in Richtung Leitfunktion geht. Und ich bin überzeugt, dass der Wald nicht auf einem Standort sämtliche gesellschaftlichen Ansprüche erfüllen kann. Dies hat auch damit zu tun, dass der Grundeigentümer ja in einer Sozialbindung alle Funktionen gewährleisten müsste – und das ohne jedes Entgelt für Transfer- oder Ökosystemleistungen. Denken in Leitfunktionen und Segregation kann aber auch ein Rückschritt sein, wenn ich zum Beispiel sagen würde, ein intakter Bergwald ist nur, weil er Schutzwald ist und bewirtschaftet wird, nicht mehr ökologisch wertvoll. Das wäre eine fatale Fehlentwicklung, weil wir natürlich im Bergwald, auch wenn er nachhaltig bewirtschaftet wird, ganz fantastische Biotope haben.

Am WALDCAMPUS Österreich wurde ein eigenes Schutzwaldzentrum eingerichtet. Hat sich die Einrichtung bewährt?
Ja, vor zwei Jahren haben wir das Schutzwaldzentrum eingerichtet, gemeinsam mit den Partnern Österreichische Bundesforste AG, Bundesforschungszen­trum für Wald und Universität für Bodenkultur Wien. Die Idee war, den Waldcampus dazu zu nutzen, um einen wissenschaftlichen und fachlichen Hub zu eta­blieren – im Salzkammergut, wo wir das Thema Schutzwald in allen Aspekten bearbeiten können. Das Flaggschiff-Projekt ist ja das Modell-Einzugsgebiet „Rindbach“ – ein Gebiet der ÖBf, wo von allen wissenschaftlichen Institutionen Österreichs – im Übrigen auch mit Geldern des Waldfonds – jetzt begonnen wird, die Zusammenhänge zwischen Wald, Klimaeinflüssen, Jagd- und Wildmanagement, Naturgefahren und Wildbachprozesse zu beobachten und zu monitoren. Das Projekt ist international einzigartig und eigentlich genau das, wo wir hinwollen: eine Vernetzung der Akteure und des Wissens in einem Zentrum. Das eigentliche Ziel des Schutzwaldzentrums am Waldcampus Österreich ist, das Wissen über den Schutzwald aufzubauen, zu etablieren und zu verbreiten.

Wie viele Leute sind in dem Schutzwaldzentrum beschäftigt?
Derzeit sind zwei Personen direkt dem Schutzwaldzentrum zugeordnet, aber das Ganze ist aufgrund der COVID-19-Pandemie erst im Entstehen. Das Entscheidende ist ja gar nicht so sehr, dass wir dort eigene Strukturen aufbauen, sondern dass es mehr oder weniger eine Plattform – einen „Hub“ – gibt, von der aus verschiedenste Projekte gesteuert werden. Das ist ein sehr moderner und effizienter Ansatz. Wir wollen die fantastische Infrastruktur des Waldcampus dazu nutzen, um Wissen dort zu vernetzen.

Was würden Sie sich für den heimischen Schutzwald wünschen?
Wir müssen wissen, wo der Schutzwald in Österreich steht. Das klingt vielleicht zwar komisch, aber es gibt in vielen Regionen immer noch keine standardisierte Vorstellung, welche Waldgebiete wirklich Schutzwald und vor allem welche Objektschutzwald sind. Diese Informationen auf Geodatenbasis für alle nach einem einheitlichen Standard zu machen, halte ich für das Allerwichtigste unserer Projekte. Nur auf diesem Weg erreichen wir Rechtssicherheit für den Grundeigentümer und erzielen eine hohe Treffsicherheit für öffentliche Planungen und Investitionen in den Schutzwald.

Vielen Dank für das Gespräch!