Dr. Eduard Hochbichler ist Lektor für Waldbau und ULG- Lehrgangsleiter an der BOKU. © Christoph Gruber | BOKU-IT
Sind wir waldbaulich in Österreich auf einem guten Weg?
Nun, das hängt von den Zielsetzungen ab. Welche Ziele haben wir erreicht? Die Waldstrategie schreibt uns vor, klimaresiliente, zukunftstaugliche Wälder zu entwickeln. Ich denke, hier ist die Forstwirtschaft tatsächlich auf einem guten Weg, aber die Frage bleibt: Ist man rasch genug unterwegs? Jedenfalls erkennen wir den Trend zu höheren Laub- und Mischwaldanteile auch in der österreichischen Waldinventur. Auch die Flächenvorratsentwicklung und die zunehmende Integrierung von Wald-Biodiversitätselementen sind sehr positive Aspekte.
Weiters sind aber die Ziele der Biodiversitätsstrategie für die Waldbewirtschaftung sehr herausfordernd. Was Arten- und Strukturdiversität betrifft, so gibt es mit den klimafitten Mischbaumbeständen hohe Überschneidungen. In anderen – etwa Schutzgebietsausscheidungen – gibt es einen hohen Bedarf für Diskussionen. Auch bei der Strukturdiversität kommt es darauf an: Rede ich über die Bestandes-, Revier- oder Landschaftsebene. Auch hier, denke ich, ist vieles im Fluss.
Haben Katastrophen eine katalytische Wirkung? Ist nicht Waldbau vermehrt die Kunst, aus der Not eine Tugend zu machen?
Störungen oder Katastrophen der vergangenen 10 bis 20 Jahre haben hier auch eine Veränderung herbeigeführt, das ist richtig. Aber solange wir nur auf Katastrophen reagieren, sind wir ständig Getriebene. Wir sollten nicht darauf warten, dass uns Katastrophen Gestaltungsräume schaffen, sondern wir müssen auch in der regulären Waldwirtschaft Schritte nach vorn setzen und auch künftig Nachhaltigkeitsziele erreichen.
Sehen Sie eine Kluft zwischen Forschung und Praxis im Waldbau?
Das strategische und operative Waldmanagement waren im Waldbau immer eng verknüpft mit Forschungsansätzen. Wir sollten positiv anmerken, dass Forschung und Praxis kommunizierende Gefäße sind. Nehmen wir zum Beispiel die Zielstärkennutzung. Von Heinrich Reininger in den 1970ern in Aigen-Schlägl auf den Weg gebracht, war sie ein wesentlicher Treiber für die Weiterentwicklung der Dauerwaldsysteme. Die Thesenbildung ist hier also von einem Betriebsleiter ausgegangen!
In den 1970er- und 80er-Jahren wurde begonnen, wirtschaftliche Bestandesbegründungsverfahren in der Laubwaldbewirtschaftung zu entwickeln. Bei der Eichenbestandesbegründung hat man es geschafft, durch begleitende Forschung Weit- und Engverbandsmuster herauszuarbeiten und Weitverbände mit Astung zu kombinieren. Mittels begleitender Untersuchungen auf Versuchsflächen hat man Veränderungen und Adaptierungen erreicht. Heute ist etwa die Grünastung in Laubjungbeständen in entsprechenden Weitverbänden Stand der waldbaulichen Technik. Die wachstumskundliche Mischbestandsforschung der vergangenen 20 Jahren hat vor allem in der Waldwachstumskunde an der BOKU und an der TU München dazu beigetragen, dass die Produktivitätsvorteile von Misch- gegenüber Reinbeständen heute klarer eingeschätzt werden können. Das hilft besonders bei Fragen der Wirtschaftlichkeit klimafitter Mischbestände sehr.
Die Waldstrategie schreibt uns vor, klimaresiliente, zukunftstaugliche Wälder zu entwickeln. Ich denke, hier ist die Forstwirtschaft tatsächlich auf einem guten Weg, aber die Frage bleibt: Ist man rasch genug unterwegs?
Kommen diese Fakten tatsächlich in den Forstkanzleien an?
Hier gibt es zwei Hebel: die Kommunikation über Seminare und Wissensplattformen und Förderrichtlinien, in die solche Erkenntnisse einfließen. Der zweite ist die Beratung durch die Kammern und Behörden. Die endgültige Entscheidung liegt aber bei den Waldbewirtschafter*innen. Da passiert aber auch viel Veränderung, auch forciert durch einen Generationenwechsel. Vor 30 Jahren waren etwa Misch- oder Eichenwaldbewirtschaftung Nischenthemen. Aber diejenigen, die schon in der Vergangenheit auf Erhaltung und Förderung von Artenreichtum in ihren Beständen geachtet haben, stehen heute klar besser da. Es gibt viele Bauernwälder im östlichen Waldviertel, denen zwar die Fichte zunehmend ausfällt, aber die Kiefer, Eiche und Tanne bilden dort noch weiterhin ein gutes Produktionsgerüst.
Das Image der Fichte als Brotbaum hat vor allem in den betroffenen Regionen ordentliche Risse bekommen. Sind heute solche Botschaften nicht viel leichter abzusetzen?
Die Fichte hat eine große standörtlichklimatische Amplitude. In Österreich ist sie von der montanen bis zur subalpinen Stufe zunächst Mischbaumart und dann prägende Baumart. Das kann weitgehend für die Zukunft erwartet werden, wenn das 2°C-Klimaszenario hält. In der kollin-submontanen Waldstufe haben wir mit der Fichtenbestandeswirtschaft die größten Probleme. Klimatische Aspekte treiben uns an, Veränderungen im Waldaufbau umzusetzen. Diesen Fichtenbeständen wurde aber auch bereits durch die aufkommenden Standortskartierungen der 1950er- und 60er-Jahren ein hohes Risikopotenzial zugewiesen. Unter den heutigen Rahmenbedingungen hat sich dieses Risiko nur noch deutlich verschärft. Daher sollten wir unterscheiden: Welche Risikostufen hatten wir bei der Fichte dort bereits ohne die Klimawandelfolgen und welche wurden durch den Klimawandel potenziert? Denn es stellt sich auch die Frage, ob der Klimawandel allein Verursacher all der Fichtenpro-bleme in den vergangenen Jahren war. Wir sollten das im Sektor selbst mit offener Selbstreflexion aufarbeiten. Die „Zuordnungswissenschaft“ hat sich als eigenes Teilgebiet der Klimaforschung etabliert und beschäftigt sich mit genau dieser Frage. Das gilt ja nicht nur für den Forstsektor, sondern etwa auch für die ganze Raumordnungspolitik. Denken wir an die Überflutungen, Vermurungen und Lawinen. Insgesamt sind die Fichte und ihre künftigen Potenziale standörtlich-räumlich differenziert zu betrachten.
Sollte das steirische Modell der Dynamischen Waldtypisierung auf das gesamte Bundesgebiet ausgedehnt werden?
Mit dem FORSITE-Programm in der Steiermark ist zweifelsohne ein sehr großer Wurf gelungen. Das war waldwirtschaftlich gesehen ein sehr wertvolles Projekt. Damit wurde eine jahrzehntelange Diskussion über eine österreichische Standortskartierung zu einem guten Ende geführt. Hier werden auf Basis von Klimaszenarien Empfehlungen für konkrete, zukunftsfähige Baumartenzusammensetzungen am Standort gegeben. Ein Folgeprojekt läuft derzeit in Ober- und Niederösterreich und im Burgenland. Ich denke, das wird sicher auch auf die restlichen Bundesländer ausgerollt werden, das ist gar nicht aufzuhalten. Dem zugrunde liegt ja, dass unsere standörtlich-klimatischen Grundlagen die Entscheidungsbasis für künftige Waldbewirtschaftung sind. Dieses Projekt zeigt anschaulich und nachvollziehbar auf, in welchem Zeitraum wir diese Transformation schaffen sollten. Unter Beachtung der langen Umtriebszeiten müssen wir daher bei jeder waldbaulichen Maßnahme – Verjüngung, Bestandespflege und Ernte – darauf achten. Ich hoffe, wir haben die Zeit für den Waldumbau, die wir brauchen! Zudem ist das Konzept von Haupt- und Nebenbaum-art neu durchzudenken: Nebenbaumarten sind nicht mehr nur dienend oder Ersatz für etwas, sondern sie machen im Klimawandel als Mischbaumarten den großen Unterschied in Sachen Ökologie und Resilienz! Sie sind aber auch risikomindernd im wirtschaftlichen Sinne.
Es gibt immer mehr hofferne Waldbesitzer. Wie gut stellt sich das österreichische System der forstlichen Beratung darauf ein?
Das kommt ganz darauf an, ob wir über jene reden, die als Erwachsene in der Stadt ihren Berufen nachgehen und dann den Wald ihrer Vorfahren erben, oder über die „neuen“ Waldbesitzer:innen, die keinen oder einen geringen Bezug zu ihrem Anlagegut haben. Bei der ersten Gruppe liegt das Problem vor allem im Bereich des Forstschutzes. Das sehen wir vor allem nach Windwürfen, Schneebrüchen oder in Trockenperioden, wenn das Damoklesschwert des Borkenkäfers über dem Wald schwebt. Bei der zweiten Gruppe hängt es davon ab, wie groß der Waldbesitz ist. Ab mittlerer Besitzgröße sind sie manchmal sehr engagiert und man trifft sie häufig auch bei Seminarveranstaltungen der Kammern und Behörden. Das ist auch für mich als Vortragender immer wieder spannend zu sehen, ob und wie ich Waldbauwissen für einen forstlichen Laien verständlich vermitteln kann. Die Berater der Kammern und Behörden sind da schon sehr professionell und können sich auf unterschiedliche Bedürfnisse einstellen. Auch hier gilt für mich, dass die endgültigen waldbaulichen Entscheidungen bei den jeweiligen Eigentümer*innen bleiben. Denn auch das sorgt für Diversität im Wald! Sorglose Waldbesitzer machen aber den Forstbehörden immer Stress!
Sind nicht gerade die neuen Waldbesitzer noch empfänglicher für Umweltschutz-Ideen à la Stilllegen von Waldflächen?
Dieser Aspekt ist insofern mitzudenken, als die „neuen“ Waldbesitzer*innen meist nicht von Einkommen aus dem Wald abhängig sind. Deren Ziele sind vielfältig, es kann ein unbewirtschafteter Wald oder ein extensiv bewirtschafteter mit geringen Entnahmen sein. Solange sie dabei die forstschutzrechtlichen Bestimmungen erfüllen, ist das auch in Ordnung. Das sind dann auch Bestände, die die Biodiversität in einer Landschaft durchaus positiv beeinflussen können. Problematisch wird es erst dann, wenn solche Waldbesitzer ihre Ziele auch anderen überstülpen wollen. Umgekehrt sollten wir auch hinterfragen, ob wir die Holznutzung als Leitprämisse unserer Waldbewirtschaftung auch überall verwirklicht sehen wollen. Da ist derzeit ein gesellschaftlicher Prozess im Gange, der sehr vielfältig abläuft.
Wir sollten nicht darauf warten, dass uns Katas-trophen Gestaltungsräume schaffen.
Sie bieten ja institutsübergreifend an der BOKU die Lehrveranstaltung „Ausgleich von Nutzungsinteressen“ an. Wie sind dabei die Erfahrungen?
Das ist sehr spannend, ja. Wir – Manfred Lexer, Harald Vacik und ich – machen sie gemeinsam. Da sind Studierende auch von anderen Universitäten mit uns in einer Bergregion in der Steiermark oder Tirol unterwegs. Wir bilden Aktionsgruppen: Landwirte, Touristiker, Jäger, Forstleute, Naturschützer. So kommen ganz wichtige Diskurse in Gang – ein Prozess, der völlig offen ist. Wir bieten hier nur die Moderation an. Eine Erfahrung ist, wenn die Nutzungs- und Jagdinteressen von Studierenden mit fachbezogenem Hintergrundwissen vertreten werden, diese sehr oft konzeptiv weniger breit dastehen und bei den anderen jungen Leuten geringere Akzeptanz ernten. Das ist ein Prozess, auf den wir mehr achten sollten. Die Interessen sind vielfältiger geworden.
Somit wird der Waldbau zu einer Strategie forstlicher Zielfindung unter mehreren ...
Dieser Gedanke über den Zielfindungsprozess ist bei uns drei Seminarleitern schon frühzeitig aus Lehre und Erfahrung gereift. Der Waldbau liefert Werkzeuge für die Zielfindung, in der Planung und in der Technologie. Interessensausgleich war auch in meiner persönlichen forstbetrieblichen Arbeit bei der Servituten- und der Wald-Weide-Frage immer ein Thema. Das ist eigentlich inhärent in unserem Forstgesetz enthalten, wenn man Multifunktionalität ernst nimmt. Zu den vier bekannten Waldfunktionen ist nun auch die Lebensraumfunktion dazu gekommen. Und die Herausforderung ist, wie wir das auf das Bestandesniveau herunterbrechen. Der Waldentwicklungsplan ist eigentlich auch nichts anderes als ein In-strument, einen Interessensausgleich herbeizuführen. Das kann aber auch einen Mehrwert für den Forstbetrieb darstellen. Wenn wir in der Öffentlichkeit nur dann sichtbar werden, wenn Katastrophen im Wald eintreten, dann ergibt das ein sehr einseitiges Bild vom Forstsektor, obwohl wir die Krisen letztendlich erfolgreich managen. Dieses „negative“ Framing sollten wir in der Außenwirkung vermeiden.
Wie sollten wir also angesichts der Frage reagieren, ob Holznutzung oder -speicherung günstiger für das Klima ist?
Indem wir den wesentlichen klimapositiven Mehrwert hervorstreichen, den die Holzverwendung durch Substitution und temporäre Speicherung im Rahmen einer nachhaltigen Waldbewirtschaftung bewirkt.
Ist das Potenzial heimischer Baumarten mit Blick auf Klimawandel schon ausgeschöpft? Wo benötigen wir nichtheimische Arten?
Das Potenzial heimischer Baumarten ist nach wie vor sehr hoch – etwa bei Eiche und Tanne. Dann haben wir gebietsfremde Baumarten, die über 100 Jahre ausgetaktet sind – das sind vor allem die Douglasie und in einem etwas geringeren Ausmaß die Roteiche. Darüber hinaus wird es notwendig sein, Baumarten anderer Regionen – von Westbalkan bis Türkei bei uns zu forcieren, um neues Wissen für die Zukunft zu erarbeiten. Wir sollten uns vorrangig nach Osten orientieren – etwa mit Blick auf die Ungarn- und die Zerreiche sowie die Zeder. Aber bei all diesen Überlegungen kommen wir am Thema Wildeinfluss nicht vorbei. Wie das Wildeinflussmonitoring nunmehr schon seit über 15 Jahren zeigt, bleibt der stark negative Wildeinfluss auf rund zwei Drittel der Waldfläche ein waldbauliches und jagdliches Kernthema. Für die flächige Pflanzung klimaangepasster Arten – egal, ob heimisch oder nichtheimisch – müssen wir unsere Wildverhältnisse substanziell ändern.
Viele Waldböden werden trockener. Wäre der Dauerwald eine Antwort darauf?
Die zunehmende Gefahr durch Tro-ckenheit hat zwei Aspekte: Zum einen sollten wir bei der Waldverjüngung und -pflege bei Kronendachöffnungen mehr als bisher auf die standörtlich-klimatischen Gegebenheiten achten. Das hat nämlich unmittelbare Folgen für Wasserhaushalt und Humusdynamik am Waldboden. Wenn ich über Femel- und Schirmhiebe in Eichen- und Buchenwäldern mit längeren Verjüngungszeiträumen eine Freiflächendynamik verhindere, ist sehr viel erreicht. Das andere ist das Dauer-waldsystem – etwa der Fichten-Tannen-Buchen-Plenterwald oder Eichen-Mittelwald. Das wären sinnvolle Konzepte in trockeneren Zeiten. Dauerwald ist aber für Schlepper- und Seilgelände zu differenzie-ren. In den Bergwäldern sollten wir stär-ker saum-femelartig vorgehen und im Schleppergelände ist einzel- bis gruppenweises Vorgehen eine ökologisch und ökonomisch günstigste und klimafitte waldbauliche Vorgehensweise.
Vielen Dank für das Gespräch!