Umweltgeschichte2.jpg

Das Bild des Waldes hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. © H. Hufnagel

Forstliche Umweltgeschichte

Vom lichten zum dichten Wald

Ein Artikel von Dino Güldner | 08.01.2020 - 08:52

Groß und berechtigt war die Sorge, als in den Achtzigern das Phänomen Waldsterben vielerorts um sich griff und zahlreiche Medien dem Wald sein jähes Ende prophezeiten. Auch wenn die befürchtete Katastrophe infolge der Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung ausblieb, war die Versauerung der Böden zweifellos ein desaströses und bedrohliches Szenario der anhaltenden Industrialisierung. Heute scheint die Gefahr gebannt und der Wald erfreut sich in Österreich und weiten Teilen Europas eines steten Zuwachses, wären da nicht die Folgen und die neuen Herausforderungen des Klimawandels. Doch wie hängt die Emission von Schadstoffen und Treibhausgasen mit der eigentlich erfreulichen Ausbreitung des Waldes zusammen?

Diese und ähnliche Fragen stellt sich ein an der Universität für Bodenkultur laufendes Forschungsprojekt (HEFT, siehe Webtipp), das sich mit den versteckten Emissionen der sogenannten „forest transition“ beschäftigt. Gemeint ist damit der Zuwachs an Waldflächen, der in den Industrieländern zumindest seit den 1960er als langanhaltender Trend nachgewiesen ist.

DER WALD IM WANDEL
Der offiziellen Statistik zufolge verzeichnet Österreich einen Zuwachs der Waldflächen bei gleichzeitiger Zunahme des Bestockungsgrades seit Beginn der Erhebungen im frühen 19. Jahrhundert. Der Erfolg dieses Strukturwandels hat seine Ursachen in der Herausbildung einer staatlichen Forstadministration sowie einer neuen Pragmatik im Forstwesen, die von Wissenschaft und marktökonomischem Gewinnstreben unterfüttert wurde. Das Diktum liberaler Kräfte lautete: Rationalisierung der Landnutzung durch die Trennung von Forst- und Landwirtschaft.

Eine strikte Grenzziehung zwischen Acker, Wald und Wiese, wie sie in der Wahrnehmung der meisten Menschen heute verankert ist, wäre den Menschen noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts fremd gewesen. Es wäre sogar bei den zahlreichen Mischkulturen der vorindustriellen Landwirtschaft eine Streitfrage, was als Wald gilt und was nicht. Der Franziszeische Kataster (1817-1861) zeugt von der einstigen Diversität der Landnutzung mit seinen zahlreichen Nebennutzungen, wie den Streuobstwiesen, Waldweiden, Weiden mit Holznutzen oder marginalen Flächen mit Verbuschung, die dem Ödland zugedacht wurden. Den Menschen war der Wald ohnehin als ein ständiges Streitobjekt geläufiger, dessen Nutzung und Entnahme an Ressourcen häufig Anlass zu Streitigkeiten mit Grundherren und Nachbarn bot.

In der Regel waren davon neben Acker und Weiden sämtliche Landnutzungsformen betroffen, die bedingt saisonal oder grundsätzlich von der Gemeinschaft genutzt wurden. In der vorindustriellen Gesellschaft musste der gesamte kalorische Bedarf von Mensch und Tier unmittelbar durch jene Biomasse gedeckt werden, die den lokalen Agrarökosystemen entnommen werden konnte. Vor dem Einsatz fossiler Brennstoffe setzte die Natur den Menschen enge energetische Schranken, die eine Vielzahl an kollektiven Nebennutzungen und Mischkulturen entstehen ließen, um der gegebenen Fläche den höchstmöglichen Ertrag abzuringen.

Umweltgeschichte1.jpg

Lichter Wald contra dichten Wald. Durch die Industrialisierung wurden traditionelle Landnutzungsformen, wie die Waldweide, zu Hindernissen für die rationale Forstwirtschaft erklärt © H. Hufnagel

AUS DER NOT ZUR NACHHALTIGKEIT
Gerade dort, wo sich kommunale, agrarische Nutzungsstrukturen mit industriellen, wie dem Hüttenwesen, überschnitten, sind regionale Abholzungen und Verwüstungen belegt. Die daraus abgeleitete Versorgungskrise, auch als „Holznot“ bezeichnet, gab einer Entwicklung der nachhaltigen Forstnutzung ihren Anstoß. Diese entspringt dem Gedanken, einer Ressource langfristig den größten Nutzen abzuringen. Ökologische und soziale Verantwortung sind Paradigmen, die sich erst in der jüngsten Debatte eingemischt haben und dem Begriff über die Grenzen der Forstwirtschaft hinaus neuen Sinn stifteten. Der vorindustrielle Wald war ein integratives Element der Landwirtschaft und damit eingebunden in eine üppig verzweigte Kreislaufwirtschaft. Beispielsweise diente die weit verbreitete Waldweide nicht nur für die Aufzucht von Vieh, sondern gemeinsam mit der Laubund Nadelstreu dem Gewinn und der Verbesserung des stets zu knappen Düngers. Mithilfe dieser Praktiken konnten die Nährstoff- und Energiekreisläufe geschlossen und so vitale Funktionen von Agrarökosystemen aufrechterhalten werden.

Der vorindustrielle Wald fungierte weniger als Senke oder Speicher für Energie, Nährstoffe oder Kohlenstoff, sondern vielmehr als Quelle derselben und war damit essenziell für den Erhalt der Ertragsfähigkeit bäuerlicher Subsistenzwirtschaften.

Die „Zwangsheirat“ von Wald und Landwirtschaft war den Agronomen und den Forstmännern ein Dorn im Auge, waren diese Praktiken ihrem Einvernehmen nach die Ursachen für „Waldschinderei“ und Unwirtschaftlichkeit des bäuerlichen Waldbestandes. Sie waren es gewohnt, auf den großen Domänenforsten ihrer Grundherren und später auf deren großen Fideikommissen ihre Durchforstungspläne bedenkenlos und ohne Rücksichtnahme auf weitere Akteure umzusetzen.

Die Auflösung der Grundherrschaft und die Ablösung des Abhängigkeitsverhältnisses zwischen Grundherren und Bauern nach 1848 begrüßten sie demnach. Doch vollzog sich die Ablösung des Waldeigentums anders als beim übrigen Land, da die Bauern als Eingeforstete hier oftmals Nutznießer von Servituten und Nutzungsrechten waren. Die Servitute wurden nur selten in Land und öfter in Geldzahlung abgelöst. Der Erhalt der Einforstungsrechte wiederum wurde durch striktere Regulierungen erkauft. Die unvollständige Ablösung der Einforstungsrechte muss vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass sich die Monarchie gegen Ende des 19. Jahrhunderts in dem Spannungsverhältnis wiederfand, sich einerseits liberalen Strömungen anzupassen, andererseits die bäuerliche Identität und Volkskultur als Trägerin des neo-absolutistischen Staats zu bewahren. Neben Wissenschaft und Forschung war letztlich das Forstgesetz von 1853 richtungsweisend für die Rationalisierung der Forstwirtschaft. Es war ein wesentlicher Schritt im Staatsbildungsprozess, der wohlfahrtsstaatliche Unternehmungen förderte und die nachhaltige Nutzung des bestehenden Waldes sowie die Aufforstung kahler Flächen gewährleisten sollte. Die Evidenzhaltungen des Katasters seit 1883 bezeugen zwar geringe Zuwächse an Wald, doch sind die tatsächlichen Zugewinne weniger mit einer reellen Ausdehnung zu erklären, sondern entspringen dem Versuch, das Steuerwesen zu vereinfachen und zu vereinheitlichen. Waren im Franziszeischen Kataster noch rund 40 Landnutzungstypen ausgewiesen, wurde die Reinertragsbestimmung nach Kulturarten im Zuge der Grundsteuerregulierung auf nunmehr acht Typen reduziert und Mischkulturen wurden schlicht einer der dominanten Kulturarten zugeordnet. Damit erschweren sich die Rekonstruktion des tatsächlichen Erscheinungsbildes des Waldes und die Beantwortung der Frage, ob die Ursprünge einer „forest transition“ bereits im 19. Jahrhundert festgemacht werden können.

DER VORINDUSTRIELLE WALD WAR EIN INTEGRATIVES ELEMENT DER LANDWIRTSCHAFT UND DAMIT EINGEBUNDEN IN EINE ÜPPIG VERZWEIGTE KREISLAUFWIRTSCHAFT.


Dino Güldner, Institut für Soziale Ökologie (SEC), BOKU

STRUKTURWANDEL IN DER LAND- UND FORSTWIRTSCHAFT
Es sollte noch bis an die Wende des 20. Jahrhunderts andauern, bis sich Forstgesetzgebung und Forstpolizei flächendeckend durchsetzen konnten und eine tatsächliche Zunahme des Bestockungsgrades einsetzte und der „Waldfrevel“ und Kahlschläge eingedämmt wurden. Die Reformen und der eingeleitete Strukturwandel der Land- und Forstwirtschaft im 19. Jahrhundert waren dennoch ausschlaggebend für die qualitative Verbesserung der Waldbestände, die dem faktischen Zuwachs der Waldfläche in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorausging. Damit verbunden war das Ende des Waldes als vielseitigste Form der Landnutzung und der Aufstieg der Monokulturen. Durch den Wandel der gesellschaftlichen Ansprüche an den Wald gewann dieser auch an Bedeutung als Kohlenstoffspeicher. Ganze 70 % aller ökosystemaren Kohlenstoffbestände fallen in den Wäldern an. Zwischen 1830 und 2010 stiegen sie um 240 Megatonnen an, sodass heute ein Kohlenstoffbestand von rund 800 Megatonnen bilanziert wird.

Ironischerweise war es der Einsatz fossiler Energieträger, allen voran die Erschließung des „unterirdischen Waldes“ in Form der Kohledepots, die diesen Trend überhaupt erst ermöglichten. Die Kohle unterstützte den von Staat und Expertise forcierten Nutzungswandel, indem sie zunächst als Ersatz für Brennholz diente und in weiterer Folge verhalf, entlegene Regionen mittels der Eisenbahn zu erschließen, um so den wachsenden Rohstoffbedarf der Holzindustrien zu decken. Dazu kamen verbesserten Anbaumethoden in der Landwirtschaft, was die Niederwälder mit kurzer Umtriebszeit und die zahlreichen Nebennutzen obsolet machte und die Umstellung zum betrieblichen Hochwald erlaubte.

Doch mit dieser Entwicklung sind auch Nebenwirkungen verbunden. Der Ersatz des Brennholzes durch fossile Energieträger und die Intensivierung der Landwirtschaft entlasten zwar den Wald und ermöglichen dessen Funktion und zunehmende Bedeutung als Kohlenstoffspeicher. Gleichzeitig aber sind und waren sie es, die maßgeblich zum Klimawandel beitrugen. Durch die Entkopplung von Produktion und Konsum im Rahmen der Globalisierung kam es auch zu Verlagerungen in der Landnutzung. Eine Entlastung der Flächen wie sie in Österreich in Folge der Industrialisierung einherging, liegt nicht weniger daran, dass die agrarische Produktion und die damit verbundenen Emissionen ins Ausland und auf andere Kontinente ausgelagert wurden.

Dieses Projekt wird von Simone Gingrich geleitet und vom Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms „Horizont 2020“ der Europäischen Union (757995) finanziert.

Webtipp: http://heft.boku.ac.at, HEFT – Hidden Emissions of Forest Transitions: GHG effects of socio-metabolic processes reducing pressures on forests