Leserbrief

Ein Virus geht um – Forstbetriebe haben Schlinge um den Hals

Ein Artikel von Martin Straubinger | 06.04.2020 - 09:18

Seit Jahren kämpft die Forstbranche mit einer Abfolge von Kalamitäten […]. Phytosanitäre Kontrollen sind dank offener EU-Grenzen abgeschafft – der heimische Holzmarkt wird mit Billigholz geflutet, bis er zu ersticken droht.

Der österreichischen Gebirgsforstwirtschaft wurde schon vor Jahren die Schlinge um den Hals gelegt. Mit heraushängender Zunge balancieren wir auf Zehenspitzen am wackeligen Stockerl – und alle schauen zu!

Die Schäden nach Yves sind weitgehend aufgearbeitet, Hunderttausende Festmeter nach Vaia liegen noch in den Oberkärntner Wäldern mit einer ähnlichen Menge an Schneebrüchen. 

Das wahre Ausmaß ist noch immer nicht erfasst! Wenn diese Hölzer nicht aufgearbeitet werden, drohen die gleichen Bilder wie in Tschechien und Deutschland. Irgendeine Unterstützung für die Aufarbeitung gibt es in Kärnten nicht. […]

Der Forstbetrieb Foscari hat in den vergangenen drei Jahren 60.000 fm Windwürfe aufgearbeitet. 70 % davon im Seilgelände, überwiegend Einzel- und Nesterwürfe. Holzerntekosten schrammen an der 40 €/fm-Marke, die Erlöse sinken dramatisch. Abschläge für Cx- und Braunbloche 30 €/fm und mehr, erhöhte Faserholzanteile, der Marktsituation angepasste, strengere Übernahme – siehe dazu „Anlasssortierung“ (Frank Diehl; s. Beitrag "Anlasssortierung?") – eine Watsche kommt nie alleine!

Seit wenigen Monaten liegt der neue Einheitswert am Tisch: Einheitswert und Ertragswert jeweils über 1 Mio. €. Es klingt wie ein Hohn aus einem schlechten Film. Immer mehr Waldbesitzer in Oberkärnten können schlicht und einfach nicht mehr. Holzerlöse decken oftmals nicht mehr die Aufarbeitungskosten. […]

Forstpolitik: abgesagt! Spargelernte ist wichtiger.

Forststrategie: ein Zettel, abgelegt in den unteren Regionen der Akten.

Kammern, Interessenverbände: außer ein paar harmlosen Papieren nichts. Verstrickt in eigene Unzulänglichkeiten, ideenlos, zahnlos wertlos!

Die Folge: Jeder zweite in Pension verabschiedete Wirtschaftsführer wird nicht mehr ersetzt, ähnliche Schicksale bei den Förstern. Die letzten eigenen Forstarbeiter abgebaut, der Schlepper mit über 20.000 Betriebsstunden ausrangiert, Ersatzinvestition gestrichen.

In Deutschland gibt es ernstzunehmende Vorschläge, die zahlungsunfähig gewordenen Waldbesitzungen zu verstaatlichen. Gute Idee! Dann kann die seit Jahrhunderten von der Forstwirtschaft geplagte Kreatur „Wald“ endlich aufatmen und können all diese Flächen am Silbertablett dem Naturschutz überlassen werden. Das nennt man dann ökologische Nachhaltigkeit im 21. Jahrhundert.

Nirgendwo funktioniert der europäische „Gemeinschaftsgeist“ so gut wie beim Naturschutz. Aarhus ist umgesetzt. Wer immer von der verantwortlichen Politik die Unterschrift unter dieses Papier gegeben hat, war […] unwissend ob der Konsequenzen daraus! […]

Stoßt um das Stockerl, damit wir Klarheit haben. Nichts schafft deutlichere Klarheit als der Tod!

Zum Klimawandel jetzt der Virus. Der große Kupferkessel ist prall gefüllt mit 38 Mrd. € (Anmerkung: österreichisches Coronahilfspaket). Viele Hände strecken sich begierig nach dem Kessel. Wer die längeren Hände hat, erwischt etwas. Was für die Forstbetriebe übrig bleibt, kann sich jeder selbst ausmalen.

Die tschechische Republik hat ein Programm für den privaten Waldbesitz aus nationalen Mitteln aufgestellt: 380 Mio. € in sieben Jahren. Das ist eine Ansage!

Abgegolten werden der Wertverlust der Käfernutzungen, die Wiederaufforstung, die Pflege der Kulturen. Zu 100 %. Was im Vergleich dazu von der österreichischen Forstpolitik übriggeblieben ist, ist erschreckend wenig.

Die wenigen, noch verbliebenen aufrechten Forstleute kämpfen um den klimafitten Wald – mit welchem Ergebnis? Auf Hunderttausenden Hektar hat die Tanne keine Chance, Lärche, Kiefer, Zirbe in viel zu vielen Regionen gefegt, verkrüppelt, ohne Chance, jemals Schutzfunktion übernehmen zu können.

Ganz Mariazell ist sich einig im Dialog, gelobt Besserung – und es passiert nichts. Einigkeit am runden Tisch und draußen in den Wäldern wird das Forstgesetz seit Jahren mit Füßen getreten. Das jagdliche Lobbying von Vorarlberg bis ins Burgenland funktioniert seit Jahrzehnten bestens. Die Forstinventur gibt ein trauriges Zeugnis darüber. Einen in Jagdfragen nicht anpassungsfähigen Generaldirektor wäre man bald losgeworden, welch unglaubliche Fügung, dass es ihn noch gibt. Halb Mariazell hätte sich gefreut. 

Das Virus geht um. Heute frisst es sich durch alle gesellschaftlichen Schichten auf allen Kontinenten, zwingt die Menschen mit dem geschaffenen Globalisierungswahn in ihre Haushalte. Es wird vorübergehen, seine Spuren hinterlassen – und es wird nicht lange dauern und wir sind im alten Getriebe. 

Das Virus in unseren Wäldern frisst weiter und – wie schon gesagt – alle schauen zu!

Forstdirektor Martin Straubinger, Forstbetrieb Foscari, Paternion