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Eichen sind für das österreichisch-ungarische Grenzgebiet typisch. © L. Weißenbacher / BFW

Assisted Migration

Der Klimawandel kennt keine Grenzen

Ein Artikel von Erik Szamosvari (BFW), Dr. Marcela van Loo (BFW) | 09.12.2021 - 15:44
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Projektgebiet in der Grenzregion von Österreich und Ungarn © www.interreg-athu.eu

Fast die Hälfte Österreichs und etwa ein Fünftel Ungarns sind mit Wald bedeckt. In beiden Ländern wird die Klimaerwärmung das Waldwachstum, die Baumvitalität und die Artenzusammensetzung im Wald maßgeblich beeinflussen. Rotbuchen und Eichen dominieren die Laubwälder der gemeinsamen Grenzregion. Im Burgenland etwa machen die beiden Baumarten laut der Österreichischen Waldinventur fast 30 % der Waldfläche aus. 
Da die Natur bekanntlich keine menschengemachten Grenzen kennt und eine Lösung gemeinsamer Probleme zu Kooperationen, auch zu den internationalen führt, wurde 2020 ein bilaterales REIN-Forest Interreg-Projekt des Bundesforschungszentrums für Wald (BFW) gemeinsam mit ungarischen Partnern und dem Amt der NÖ-Landesregierung ins Leben gerufen. Der Fokus liegt auf Nachhaltigkeit der Buchen- und Traubeneichenwälder im österreichisch-ungarischen Grenzgebiet. Um die negativen Auswirkungen des Klimawandels auszugleichen und die Stabilität der Waldfläche weiterhin zu gewährleisten, sind in dem Grenzgebiet harmonisierte Maßnahmen zur Klimawandelanpassung erforderlich. 
Im Rahmen des REIN-Forest Projektes (reinforcement, deutsch: Verstärkung) wird die Gefährdung der lokalen, von Buchen und Traubeneichen dominierten Wälder bewertet. Im nächsten Schritt werden bilaterale Strategien zur vom Menschen gelenkten Migration (Assisted Migration) entwickelt und getestet.

Modellprognosen
Den Artenverteilungsmodellen und der Analyse der Klimadaten zufolge werden beide Arten bis zum Ende des Jahrhunderts Lebensraum- oder zumindest demografische Verluste in ihrem gesamten Vorkommen im Großteil des Projektgebiets erleiden. Unter dem Klimaszenario RCP 8.5 (Representative Concentration Pathway, globaler Mitteltemperaturanstieg um 4°C bis 4.8°C) wird für den Zeitraum 2081-2100 prognostiziert, dass die Buche ihre Dominanz in dem kollinen Vorkommen entlang der südwestlichen Landesgrenzen verlieren würde. Diese Bestände gehören derzeit noch zu den produktivsten Buchenwäldern Ungarns, ebenso wie jene auf der österreichischen Seite im südlichen Burgendland und der Südsteiermark. In den höheren Lagen der Ostalpen könnte die Buche jedoch vermutlich ihre Dominanz in den Waldbeständen behalten oder zumindest geringere Dominanzverluste erleiden. In niedrigeren Seehöhen wird das dominante Vorkommen der Traubeneiche abnehmen oder sogar mancherorts verschwinden. Nur als Mischbaumart kann Traubeneiche dann noch in thermophilen Formationen auftreten. Sie wird sich ökologisch und geografisch in Richtung der bisherigen Buchenzone bewegen und die soziale Position der Buche in diesen Waldgesellschaften ersetzen, wo geeignete Lebensräume in höheren Lagen vorhanden ist, wie an den Hügeln und Hängen der Ostalpen. 

Alternative zum Baumartenwechsel
Ein Ansatz, um den Verlust der Biodiversität und des Artenverbreitungsgebietes zu kompensieren, ist die Auswahl geeigneter, widerstandsfähiger und potenziell angepasster Saatgutherkünfte oder das Einbringen von neuen klimaangepassten Baumarten. Dies wird als Assisted Migration bezeichnet – eine vom Menschen unterstützte Ausbreitung von Arten oder Genotypen innerhalb oder sogar außerhalb ihres derzeitigen natürlichen Verbreitungsgebiets, um die zukünftigen Schäden durch den Klimawandel zu verringern. 
Diese vom Menschen herbeigeführte Ausweitung des natürlichen, aktuellen Verbreitungsgebiets muss auf wissenschaftlichen Erkenntnissen wie zukünftigen Klimaszenarien, Vulnerabilitätskarten, prognostizierten Eintrittswahrscheinlichkeiten der Baumarten und Modellierungen der Artenverteilung beruhen und die lokalen Standortbedingungen beachten. Assisted Migration soll damit die natürliche Anpassung der Wälder an den schnell voranschreitenden Klimawandel beschleunigen und zu erwartende, klimabedingte Artenmigrationsbewegungen vorwegnehmen.
Von Bedeutung ist diese künstlich-verfrühte Migration vor allem dort, wo Baumarten und Populationen aufgrund ihres langsamen, manchmal mehrere Generationen andauernden, natürlichen Migrationstempos nicht in der Lage sind, mit dem raschen Klimawandel Schritt zu halten. Assisted Migration könnte somit eine denkbare Lösung sein, um die Waldbiomasse von Wirtschaftsbaumarten auf einem hohen, konstanten Niveau zu halten. Neben der Massennachhaltigkeit und der Sicherung der Waldökosystemfunktionen bietet sie vor allem wirtschaftliche Vorteile für die Forstwirtschaft und die holzverarbeitende Industrie für die Zukunft.

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Gefährdungsstatus der Rotbuche (links) und der Traubeneiche (rechts) im österreichisch-ungarischen Grenz­gebiet unter dem Klimaszenario RCP 8.5 (4-4.8°C) für den Zeitraum 2081-2100 © L. Nagy & N. Móricz; SOE

Assisted Migration im Test
REIN-Forest zielt darauf ab, auf sechs Flächen (jeweils drei in Österreich und Ungarn) die Vorteile von klimatisch angepasstem Vermehrungsmaterial für die Zukunft zu bewerten und zu validieren. Im Herbst 2022 wird in beiden Ländern jeweils ein Standort mit lokalen und adaptierten Traubeneichenherkünften, ein weiterer mit lokalen und adaptierten Rotbuchenherkünften sowie ein dritter Standort mit lokalen Rotbuchen und adaptierten Traubeneichenherkünften aufgeforstet, wo die Buche laut Prognose ihre Dominanz verlieren wird.
In den 15 Jahren nach der Auspflanzung werden alle Flächen beobachtet, und die Leistung der verschiedenen Saatgutquellen/Herkünfte verglichen, um ein Feedback und eine Validierung des Transfersystems zu erhalten. Die Ergebnisse der Flächen werden anschließend Fach- und Laienpublikum präsentiert. Mittels direkter Demonstrationen vor Ort sowie über Veranstaltungen und Workshops zu Themen wie „Assisted Migration“, „Der Wert der Wälder“ und „Die Erhaltung der biologischen Vielfalt“ wird Weiterbildung für Interessierte im Rahmen des Projekts angeboten.

Pflanzgut-Transferempfehlungen
Das Vermehrungsgut von heute muss nicht zwangsläufig das am besten angepasste unter dem Klima von morgen sein. Deshalb soll das Projekt einige Leitlinien für die Auswahl des geeigneten Pflanzguts im Hinblick auf die künftige Gefährdung der Wälder bieten.
Die Gefährdungskategorien wurden auf der Grundlage des Klimaszenarios RCP 8.5 und unter Verwendung der Verbreitungsmodelle entwickelt. Bewaldete Gebiete wurden in drei Gefährdungsklassen eingeteilt, die auf der relativen Verringerung der Vorkommenswahrscheinlichkeit zwischen dem aktuellen Zustand und der prognostizierten Veränderung im Zeitraum 2081-2100 basieren: 

  • nicht gefährdet, wenn die Verringerung unter 15 % liegt
  • mäßig gefährdet, wenn die Veränderung zwischen 15-50 % liegt
  • stark gefährdet, wenn die Verringerung über 50 % liegt

In den nicht gefährdeten Gebieten (grün) wird empfohlen, Wälder mit heimischen Arten nach den vor Ort bewährten Verfahren weiter zu regenerieren. Von der Verwendung von lokalem forstlichem Vermehrungsgut wird nicht abgeraten, jedoch ist das Mischen von Vermehrungsgut aus adaptierten Quellen während der Ergänzungspflanzungen sehr ratsam. 
In den mäßig gefährdeten Gebieten (gelb) wird die ergänzende oder ausschließliche Verwendung von voradaptiertem Material empfohlen. Um die Stabilität im Wald zu erhalten, wäre es ratsam, Mischwälder anzulegen, in denen ergänzende Baumarten den abnehmenden Anteil der Hauptbaumarten im Bestand ausgleichen können. 
In den stark gefährdeten Gebieten (rot) hingegen ist die Einführung von Maßnahmen zur unterstützten Migration (Assisted Migration) unerlässlich und wird dringend empfohlen. Es wird vorgeschlagen, Populationen und Herkünfte  zu ermitteln, die die künftigen klimatischen Bedingungen des Standorts tolerieren können, und sich bei der Wiederaufforstung auf diese Quellen von dem forstlichen Vermehrungsgut/Reproduktionsmaterial zu stützen. Alternative Arten müssen ebenfalls in Betracht gezogen werden, wobei heimische Arten aus ökologischen Gründen den Vorrang haben.

Webtipp: www.interreg-athu.eu/reinforest

 

Das bilaterale Projekt REIN-Forest (ATHU 150) wird im Rahmen des Interreg V-A Österreich-Ungarn-Programms mit Unterstützung des Europäischen Fonds für ­regionale Entwicklung gefördert.