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Spätfrostschäden auf der Freifläche – ursprünglich wurde hier ein Fichtenbestand mit Tanne unterbaut, doch dann kam der Borkenkäfer. Nun sind die Jungbäume schutzlos dem Spätfrost ausgesetzt. © Franz Reiterer

TANNE 

Im Ammenwald

Ein Artikel von Franz Reiterer / Forstbüro Reiterer | 05.01.2023 - 09:11
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Weißtanne entwickelt sich prächtig unter einem Ammenwald aus Schwarzerle. © Franz Reiterer

Die Ausgangslage ist vertraut: Kalamitätsflächen nach großflächigem Verlust  fichtendominierter Bestände auf Mischwaldstandorten. Es gibt keine (brauchbare) Naturverjüngung, jedoch das erklärte Ziel, Tanne im nächsten Aufwuchs zu beteiligen.
Die erste Hürde ist der Wildeinfluss. Zäunung, Einzelschutz oder konsequentes Verstreichen sind angesichts überhöhter Wildstände meist alternativlos. Es bleibt das grundlegende Problem, dass sich Weißtanne als Schattbaumart auf der Freifläche nicht wohlfühlt. In den vergangenen 35 Jahren hat Otmar Esper im Forstrevier Kirburg Erfahrungen mit einer vorwaldartigen, temporären Mischung von Weißtanne mit Eberesche und Schwarzerle gesammelt. Auch bei Rotbuche wird mit einem vorwaldähnlichen Bestandesgefüge gearbeitet. 

Tanne statt Fichte seit den 1990er-Jahren
Das Wuchsgebiet „Hoher Westerwald“ liegt im Nordosten des deutschen Bundeslandes Rheinland-Pfalz in 500 bis 600 m Seehöhe und gehört zur Landschaftseinheit des Rheinischen Schiefergebirges. Ein erheblicher Anteil der Hochfläche weist sanft geneigten Hänge mit stauwasserbeeinflussten Böden auf.
Früher betrug die Jahresniederschlagsmenge etwa 1100 mm, doch zunehmend herrschen Wuchsbedingungen der submontanen bis kollinen Stufe. Ungeachtet des spürbaren Klimawandels gibt es häufig Spätfröste. Bereits in den 1990er-Jahren erfolgte der (Wieder-)Einstieg in die Tannenwirtschaft, nachdem die großflächigen, standortswidrigen Fichtenreinbestände zunehmend instabil wurden. Die Wiederbewaldung von Kalamitätsflächen ist hier aufwendig wegen der Tendenz zur Vergrasung mit Reitgras, der Spätfrostgefahr sowie dem starken Wildeinfluss auf den jagdlich verpachteten Kommunalwaldflächen. Überdies gilt Tanne als Langsamstarter und wird in Einzelmischung leicht überwachsen.

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Spätfrostschäden auf der Freifläche – ursprünglich wurde hier ein Fichtenbestand mit Tanne unterbaut, doch dann kam der Borkenkäfer. Nun sind die Jungbäume schutzlos dem Spätfrost ausgesetzt. © Franz Reiterer

Positive Wechselwirkungen
Folglich wurde die Herstellung eines „Schutzschirmes“ für Weißtannenpflanzungen auf der Freifläche überlegt. Dabei erwies sich die Pflanzung in Mischung mit Eberesche als zielführend. Tanne wird bei zeitgleicher Pflanzung zwar schon bald von der Vogelbeere überwachsen, lässt jedoch dank der schütteren Belaubung ausreichend Licht durch. Sie bietet dabei den vollen Spätfrostschutz und bewirkt ein hervorragendes Bestandesinnenklima. Auf stark stauwasserbeeinflussten Standorten wird Schwarzerle als Zeitmischung verwendet. Das Konzept wird auch bei Rotbuche umgesetzt, allerdings nur in Kombination mit Eberesche. Wegen der schützenden Funktion sowie der positiven Wirkung der dienenden Baumart für den Nährstoffkreislauf wurde auf den Begriff „Ammenwald“ zurückgegriffen. 

Der Ammenwald
Im Unterschied zum klassischen Vorwald werden hier Zielbaumart und dienende Baumart zeitgleich gepflanzt. Unter Ammenwald versteht der langjährige Revierleiter eine junge Bestockung aus kurzlebigen Laubgehölzen, die ausschließlich dem Schutz und der Erziehung einer beigemischten langjährigen Zielbaumart dient.
Laut Esper ist dieser Begriff in alter Waldbauliteratur zu finden. „Eberesche zieht die Tanne förmlich hoch“, schilderte der Westerwald-Förster, der bereits im Ruhestand ist, seine Erfahrungen bei einem Besuch des Verfassers vor Ort. Tatsächlich bringen die dienenden Baumarten Eberesche und Schwarzerle den Nährstoffkreislauf in Gang und entfalten eine schützende Wirkung. Die Streu ist sehr bodenpfleglich. Auf die Frage, ob die Ammenbäume überdies auch die Tannentrieblaus abhalten, verwies der Forstmann auf den Umstand, dass die Beschattung für das saugende Schadinsekt jedenfalls ungünstig sei. Exakte Daten lägen dazu allerdings nicht vor.

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Weißtanne und Eberesche wurden zeitgleich gepflanzt. Förster Otmar Esper kontrolliert anhand der Trieblängen, ob Lichtsteuerung nötig ist. © Franz Reiterer

Die konkrete Umsetzung
Zur Etablierung eines Ammenwaldes werden auf der Freifläche etwa 2000 bis 2500 Ebereschen (beziehungsweise Schwarzerlen) je Hektar flächig oder in Gruppen gepflanzt. Für die Zielbaumart Weißtanne reichen 500 Pflanzen je Hektar, die in kleinen Gruppen – ähnlich wie bei Verjüngungshorsten – dazwischengesetzt werden.
Nur wenige Jahre nach der Pflanzung schließt sich der Ammenwald. Etwa 10 Jahre nach der Pflanzung sind die Ammen zwei- bis dreimal so hoch gewachsen wie die Weißtanne. Bald nach Bestandesschluss werden die unteren Äste der Ammenbäume ausgedunkelt. Der entstehende Wuchsraum wird zunehmend von der Tanne ausgenutzt. Bei Eberesche ist bis zum Stangenholzalter zumeist kein zusätzlicher Eingriff zur Lichtsteuerung nötig. Bei Schwarzerle kann dies sehr wohl nötig sein. Der aktuelle Lichtbedarf kann mit einer einfachen Methode abgeschätzt werden: wenn die Seitentriebe des obersten Astquirles länger sind als der Terminaltrieb, sollte nachgelichtet werden. Nach etwa 25 bis 30 Jahren löst die Weißtanne die zunehmend schwächelnden Ammen im Kronendach ab. Nach und nach fällt Eberesche ohne aktives Eingreifen von selbst aus. Schwarzerle muss im Alter von etwa 25 Jahren zum Teil aktiv entnommen werden. 
Besonders wichtig ist die Dokumentation der Maßnahmen. Die Nachweisung geschieht in tabellarischer Form sowie in digitalen Karten. In den vergangenen 35 Jahren wurden im Revier Kirburg auf 1500 ha an 140 Standorten auf diese Art Weißtannen etabliert. Die Wirkungsfläche kann mit 45 ha angenommen werden. Die Wildfrage harrt allerdings noch einer Lösung. Für Pflanzungen sind stets Zaun- oder Einzelschutz nötig.

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