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Eiche im Weinviertel © Umweltdachverband

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Mittelwälder: Alte Wege, neue Ziele

Ein Artikel von Tina Leonhard, Umweltdachverband | 03.12.2024 - 07:58

Im Weinviertel am Westrand der pannonisch geprägten Klimazone macht die Waldfläche nur rund 17% der Gesamtfläche aus. In dieser Region, die sich durch heiße Sommer und kühle Winter auszeichnet, sind die Mittel- und Niederwälder bedeutende Rückzugsgebiete für viele spezialisierte Tier- und Pflanzenarten. Die Eichenbestände, die hier dominieren, unterscheiden sich von den anderen Waldtypen in Österreich durch ihre lichte Struktur und eine Vielzahl von Übergangszonen zwischen offenen und geschlossenen Bereichen.

Potenziale für Biodiversität und Klimaanpassung
Mittelwälder sind durch eine charakteristische Zweischichtigkeit geprägt, die die Nutzung für Wert- und Brennholz ermöglicht. Während das Oberholz alt werden darf und somit Lebensraum für zahlreiche Arten bietet, wird das Unterholz in regelmäßigen Abständen – meist alle 30 Jahre – flächig geerntet. Durch die kurze Umtriebszeit des Unterholzes kann der Wald kontinuierlich umgebaut und somit schneller an den Klimawandel und veränderte Umweltbedingungen angepasst werden. Weiters kann der Jungwuchs so auf ein voll ausgebildetes Wurzelsystem zurückgreifen und ist damit vor Trockenheit besser geschützt.
Durch die zyklischen Eingriffe entstehen auch variable Lichtverhältnisse, die in typischen Hochwäldern so nicht vorkommen. Diese Struktur fördert die Ansiedlung von wärmeliebenden, spezialisierten Tier- und Pflanzenarten, die genau auf dieses Mosaik an Licht und Schatten angewiesen sind.

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Exkursionsteilnehmende im Steinbergwald. © ÖBMV

Steinbergwald – Traditionelle Bewirtschaftung trifft invasive Arten
Die Exkursion führte die Teilnehmenden zunächst in den Steinbergwald bei Neusiedl an der Zaya – ein rund 240 ha großes, zusammenhängendes Eichenwaldgebiet im Besitz der seit 1626 existierenden Agrargemeinschaft Neusiedl an der Zaya. Dieser Wald ist nicht nur Teil des Europaschutzgebiets „Weinviertler Klippenzone“, sondern beherbergt auch eine der größten Zerreichenbestände Niederösterreichs. Die historische Bewirtschaftung als Mittel- beziehungsweise Niederwald mit Überhältern hat diese Fläche in eine biodiversitätsreiche Landschaft verwandelt, die gut an die klimatischen Bedingungen des pannonischen Raums angepasst ist.
Eine der größten Bedrohungen für die Biodiversität im Steinbergwald stellt die Ausbreitung des hochinvasiven Götterbaums (Ailanthus altissima) dar. Diese gebietsfremde Art verdrängt die einheimischen Pflanzen und verändert die Bodenverhältnisse (Konkurrenz- und Allelopathie-Effekte), was langfristig die Stabilität des Ökosystems gefährdet. Während des Workshops diskutierten die Teilnehmenden verschiedene Strategien zur Bekämpfung des Götterbaums: Neben mechanischen Methoden wie dem Ringeln der Altbäume und dem Entfernen der Wurzelbrut wurde ein biologisches Präparat vorgestellt, das auf dem Welkepilz Verticillium nonalfalfae basiert und sich als besonders effektiv erwies – zumindest in Beständen mit Wurzelkontakt zwischen den Bäumen.
Weiters wurde unter den Teilnehmenden über Möglichkeiten zur Etablierung einer Waldweide diskutiert, um die Waldbiodiversität zu erhöhen. Große Pflanzenfresser wie früher Wisente oder Auerochsen schaffen durch ihre Fressgewohnheiten und ihren Bewegungsradius offene und lichte Strukturen im Wald. Waldweide könnte damit die Strukturvielfalt in Wäldern langfristig sichern und eine natürliche Pflege ohne intensive menschliche Eingriffe ermöglichen.

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Flächenbesichtigung im Hochleithenwald. © ÖBMV

Hochleithenwald – Herausforderungen und moderne Klimamodelle
Der zweite Teil der Exkursion führte in den rund 3.000 ha großen Hochleithenwald der Traun’schen Forstverwaltung Wolkersdorf, der ebenfalls mit Trockenheit und dem Auftreten des Götterbaums zu kämpfen hat. Mit einem durchschnittlichen Jahresniederschlag von nur etwa 500 mm ist der Wasserstress für die Bäume erheblich. Neben diesen klimatischen Belastungen leidet der Hochleithenwald unter starkem Mistelbefall, dem sogenannten „mysteriösen Eichensterben“ sowie erhöhten Ozonwerten in der Luft.
Ein spannender Programmpunkt im Hochleithenwald war für die Teilnehmenden die Vorstellung des zukunftsweisenden Waldfondsprojektes FORSITE II. Ziel des Projektes ist es, mithilfe moderner Klimamodelle die zukünftige Entwicklung von Standortsverhältnissen und Waldtypen unter dem Einfluss des Klimawandels in hoher räumlicher Auflösung zu prognostizieren. Das Projekt setzt ein bereits abgeschlossenes Projekt in der Steiermark in den Bundesländern Oberösterreich, Niederösterreich und Burgenland fort. Durch die dynamische Waldtypisierung sollen Waldbewirtschaftungsstrategien angepasst werden, um die Resilienz und Nachhaltigkeit der Wälder zu stärken. FORSITE II zeigt auf, wie sich Baumartenverteilungen und Wachstumsbedingungen unter dem Einfluss des Klimawandels verändern könnten, und liefert dadurch wertvolle Informationen, die eine klimaangepasste Waldwirtschaft ermöglichen.

Weinviertler Eichenwälder als Kulturlandschaft und Biodiversitäts-Hotspots
Auch wenn das Weinviertel als eine der waldärmsten Regionen Österreichs gilt, sind seine Eichenwälder ein unverzichtbarer Bestandteil der Kulturlandschaft. Die pannonischen Eichen-Hainbuchenwälder sind eine Besonderheit der Region und ein schützenswertes Natur- und Kulturerbe. Sie gehören zu den prioritären Wald-Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Lebensraumtypen und sind ein wichtiger Bestandteil des Weinviertler Landschaftsbildes, das neben Trockenrasen, Weingartenlandschaften, Auwäldern und Wiesenlandschaften von Eichenbeständen geprägt ist.
Die Mittelwaldbewirtschaftung kann als eine Form der „natürlichen Waldpflege“ angesehen werden, wo innerhalb von Wäldern auch Raum für Arten des Offenlandes und der Waldrandbereiche existiert. Viele dieser Arten sind in der intensiv genutzten Agrarlandschaft gefährdet. Historisch betrachtet übernahmen große Pflanzenfresser wie Auerochsen und Wildpferde diese Aufgabe, indem sie lichte Stellen im Wald und damit Lebensräume für viele wärmeliebende Tier- und Pflanzenarten schufen. Eine dieser Arten ist der Diptam (Dictamnus albus) – eine krautige Pflanze, die eine Wuchshöhe von über einem Meter erreicht und intensiv nach Zitrone duftet. Sie findet in den lichten Eichenwäldern des Weinviertels ideale Bedingungen.

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Traditionelle Waldwirtschaft im Steinbergwald aus der Vogelperspektive. © ÖBMV

Der Ausschlagwald als Tausendsassa
Im Hinblick auf Nieder- und Mittelwälder eröffnen sich gegenwärtig große Chancen, die Nutzung von Holz effektiv mit der Erhaltung und Entwicklung wertvoller Waldlebensräume zu verbinden. Dabei ermöglichen die zyklischen Eingriffe eine Anpassung der Bestände an klimatische Veränderungen. Gleichzeitig bieten die durch Rückschnitte entstandenen offenen Strukturen Rückzugsgebiete für viele spezialisierte Arten, die sich an wandelnde Bedingungen flexibel anpassen können.
Aber nicht nur aufgrund ihrer Artenvielfalt sind die Weinviertler Eichenwälder in hohem Maße schützenswert. Wie alle Wälder erfüllen sie wichtige Klimafunktionen: Sie filtern Staub aus der Luft, binden CO2 und geben reinsten Sauerstoff in die Atmosphäre ab. Besonders in Zeiten des Klimawandels erkennen wir ihre Bedeutung als artenreiche „grüne Lunge“ des Weinviertels.
Die im Rahmen des Exkursionsworkshops gewonnenen Erkenntnisse zeigen deutlich, dass ein behutsames, nachhaltiges Management von Mittel- und Niederwäldern notwendig ist, um diese wertvollen Ökosysteme zu erhalten. Gleichzeitig können moderne Strategien diesen traditionellen Lebensraum langfristig schützen und zukunftssicher gestalten. Letztlich hat die Kombination aus traditioneller und moderner Waldwirtschaft das Potenzial, den Mittelwald als wertvollen Lebensraum und Kulturerbe zu bewahren und gleichzeitig neue Perspektiven für eine klimaresiliente Waldbewirtschaftung zu eröffnen.
Der Exkursionsworkshop des Umweltdachverbandes und die Erstellung des Artikels wurden im Rahmen des LE-Projektes „Alte Wege, neue Ziele: Stärkung der Waldbiodiversität durch historische Nutzungsformen im Kontext aktueller waldbezogener EU-Politiken“ und mit Unterstützung von Bund und Europäischer Union umgesetzt.

Webtipps: www.agrar.steiermark.at/cms/ziel/151504582/DE,
https://dafne.at/projekte/forsite-ii