„Dass aktuell der Großteil der Betriebe im Krisenmodus läuft, ist völlig klar“, gibt Carola Paul zu. Die Uniprofessorin leitet die Abteilung Forstökonomie und nachhaltige Landnutzungsplanung an der Universität Göttingen. © Christoph Mischke
Seit knapp einem Jahr ist Carola Paul als Abteilungsleiterin für Forstökonomie und nachhaltige Landnutzungsplanung der Universität Göttingen im Amt. In vieler Hinsicht steht die gebürtige Münchnerin für die verstärkte Nutzung digitaler Technologie im Dienst forstlicher Datenerhebung. Die Forstzeitung führte mit ihr folgendes Gespräch.
Die Forsteinrichtung als Betriebssteuerungs- und Planungsinstrument überblickt Zeiträume von zehn Jahren und mehr. Wir sind nach einhelliger Expertenmeinung nun mittendrin im Klimawandel. Passen solche langen Zeiträume im Hinblick auf rasche Veränderungen im Wald heute noch?
Die vergangenen Jahre haben uns wieder vor Augen geführt, wie sehr die Forstwirtschaft von Wetter- und Klimabedingungen abhängt. Nach allen Prognosen müssen wir in Zukunft verstärkt mit solchen heißen und trockenen Perioden, aber auch Sturmereignissen rechnen. Eine mittelfristige bis strategische Planung verliert jedoch unter solchen Bedingungen keineswegs seine Bedeutung. Aus meiner Sicht wäre es genau der falsche Weg, sich nun ausschließlich auf die operative Jahresplanung zu beschränken. Dass aktuell der Großteil der Betriebe im Krisenmodus läuft, ist völlig klar. Um nachhaltige Forstwirtschaft zu sichern, braucht es ein Zusammenspiel zwischen operativer, mittel- und langfristiger Forstplanung. Die moderne Forsteinrichtung muss jedoch an eine neue Situation angepasst werden. Beispiele hierfür sind die ganz explizite Einbeziehung von Risiken und Unsicherheiten in strategische Entscheidungen – egal, ob Ertragsplanung oder Verjüngungsplanung. Ein zweiter Punkt ist die dynamische Anpassung der Planung – aber nicht nur auf Bestandesebene, sondern im gesamtbetrieblichen Zusammenhang. In der Forschung arbeiten viele Kollegen und auch unsere Abteilung an der Entwicklung genau solcher Tools zur Unterstützung der Forstplanung. Steigende Rechenkapazitäten ermöglichen nun solche gesamtbetrieblichen Modelle, die Handlungspfade – etwa Nutzungsplanung oder langfristige Baumartenanteile – errechnen können, über die auch unter erhöhten Ausfallrisiken und unsicheren Zukunftsprognosen das betriebliche Ziel möglichst gut erreicht werden kann. Diese Modelle zeigen uns, dass gerade unter den gegenwärtigen Bedingungen klassische Prämissen wie eine gleichmäßige Nutzung und Mischung von Baumarten erfolgversprechend sein können. Um diese Frage aber praktisch umzusetzen – gerade im Krisenmodus –, können computergestützte Modelle aus meiner Sicht entlasten, um Handlungsalternativen auf der gesamten Betriebsebene bewerten zu können. Die moderne Forstplanung ist ein ideales Werkzeug, um solche langfristigen, unternehmerischen Entscheidungen zu unterstützen.
Ist die „kontinuierliche Waldinventur“ vielleicht auch eine Reaktion darauf?
Die Inventur ist immer die Grundlage der Forstplanung. Auch wenn wir Unsicherheiten in der Produktivität in moderne Modelle einbeziehen können, ist eine kontinuierliche Überprüfung des IST-Zustandes essenziell. Denn dieser beeinflusst auch zukünftige Handlungsentscheidungen und erfordert möglicherweise eine Anpassung. Um diese komplexen Zusammenhänge zu durchschauen, sind computergestützte Betriebsmodelle sehr wertvoll. Sie können Entscheidungen unterstützen, wollen aber keineswegs Handlungen vorgeben.
Gleichaltrige, artenarme Bestände scheinen passé zu sein – damit wohl auch die viele Jahrzehnte verwendeten Ertragstafeln. Wie wird sich die Forsteinrichtung auf zunehmend ungleichaltrige, artenreiche Bestände einstellen?
In den vergangenen zwei Dekaden gab es hier zwei wichtige wissenschaftliche Entwicklungen: Erstens die Erarbeitung moderner Waldwachstumssimulatoren, die gerade Konkurrenzsituationen berücksichtigen und zunehmend auch mögliche Auswirkungen neuer Wachstumsbedingungen abbilden können. Zweitens wurden auch klassische Planungsverfahren wie das Stärkeklassenverfahren für ungleichaltrige Bestände weiterentwickelt. Trotz seiner Relevanz ist das Stärkeklassenverfahren in der Anwendung wenig verbreitet – vermutlich insbesondere wegen des doch beträchtlichen Datenhungers dieser Modelle und des wesentlich komplexeren Berechnungsverfahrens. Daher arbeiten wir immer noch weitgehend mit dem Altersklassenmodell, das um einen meist eher technisch festgelegten Zieldurchmesser ergänzt wird. Ich persönlich halte das Altersklassenverfahren immer noch für eine sinnvolle modellhafte Vorstellung eines nachhaltigen Forstbetriebes. Gerade wenn große Flächen wieder aufgeforstet werden müssen – egal, ob in Mitteleuropa oder auch in großflächigen Projekten der Tropen. Die Grundidee, dass in einem Betrieb alle Altersstufen gleichmäßig mit Fläche ausgestattet werden sollten, ist ja ein wichtiger Aspekt nachhaltiger Waldnutzung. Unsere Hauptbaumarten wachsen ja auch häufig in altersklassenartigen Strukturen. Ich denke nicht, dass die modellhafte Vorstellung an Bedeutung verliert, auch wenn die Flächen der einzelnen Altersklassen zunehmend kleiner und zersplitterter im Betrieb sind. Sicher bleibt es aber eine Aufgabe unserer Forschung, betriebswirtschaftliche und forstplanerische Aspekte ungleichaltriger und gemischter Bestände noch besser zu verstehen und als aufgearbeitete Werkzeuge der Praxis zur Verfügung zu stellen. So können solche komplexen Bestandesstrukturen hoffentlich auch effizient und gleichzeitig nachhaltig genutzt werden.
Steht die terrestrische Datenerhebung vor der Ablöse durch luftbildbasierte Erfassungsmethoden?
Aus meiner Sicht können luftbildbasierte Erfassungsmethoden wichtige Ergänzungen terrestrischer Datenerhebungen sein. Insbesondere auch, wenn es um die Dynamisierung der Forstplanung geht oder man sich beispielsweise schnell einen groben Überblick über Schadflächen im Betrieb machen möchte. Darüber hinaus haben die Kollegen aus der forstlichen Fernerkundung und Waldinventur beeindruckende Fortschritte in der Auswertung von LiDAR-Daten gemacht. Sie erlauben die Gewinnung wichtiger Informationen über Bestandesstrukturen. Ich denke aber nicht, dass sie die bestandesweise Informationserfassung und Planung vollständig ersetzen können. Mittelfristig ist erster Grund das fehlende Personal zur Auswertung der Datensätze. Selbst wenn die Rohdaten teilweise kostenlos zur Verfügung stehen, kann kaum ein Förster und/oder ich selbst diese Datenwolken für die Bedürfnisse der Forstplanung auswerten. Entsprechende Automatisierung fehlt und ist mittelfristig zumindest auch nicht für die betriebliche Anwendung in Sicht. Sollen also solche modernen Verfahren in der Zukunft Standard werden, müssen sich auch die technischen Fähigkeiten im Betrieb mitentwickeln. Ein zweiter wichtiger Punkt ist der Unterschied zwischen der Betriebsinventur und der bestandesweisen Inventur für die Forsteinrichtung. Sie unterscheiden sich wesentlich im Inventurdesign durch die unterschiedliche Zielsetzung. Für die Betriebsinventur sehe ich deutlich höheres Potenzial der Fernerkundung als für die bestandesweise Inventur zum Zwecke der waldbaulichen Planung. Die Befunde beider Inventuren fließen in die operative Planung ein. Insofern muss es natürlich zukünftig auch noch verstärkt Rückkopplungen zwischen den Inventurverfahren geben, um teure Doppelerhebungen zu vermeiden.
In einer Zeit sinkender Holzpreise wird der Ruf nach einer Abgeltung von Ökosystemleistungen des Waldes wieder lauter. Wird die Forsteinrichtung bald die Palette der im Wald erhobenen Daten erweitern?
Ich denke, neben der Datenerhebung ist viel mehr wichtig, wie solche Leistungen in die strategische Planung einbezogen werden können. Denn daraus ergibt sich erst die Anforderung an solche Daten. In vielen Forstbetrieben ist die Bereitstellung der Ökosystemleistungen ein explizites Betriebsziel, das auch die Forsteinrichtung anstrebt. Zur besseren Integration dieser Leistungen in die Forstplanung gibt es aus meiner Sicht zwei Haupt-Möglichkeiten: Erstens, es wird ein Kriterienkatalog an quantifizierbaren Indikatoren erstellt, der neben betriebswirtschaftlichen Zielen wie etwa kurzfristigem und langfristigem Betriebsergebnis, Liquidität, Arbeitsaufwand, auch Ökosystemleistungen wie Kohlenstoffspeicherung, Wasserbereitstellung, Erholungswerte etc. einbezieht. Ziel sollte dann sein, auf einer betrieblichen Ebene durch betriebliche Entscheidungen möglichst hohe Werte für alle Indikatoren zu erreichen. Neben der Höhe der Zielerreichung ist aber auch von Bedeutung, wie gut die Indikatoren auch noch bei Eintreten möglicher negativer Ereignisse – etwa Kalamitäten und das Absinkens des Holzpreises – bereitgestellt werden können. Viele Betriebe haben sich mit der Balanced Scorecard in diese Richtung entwickelt, während jedoch eine echte, systematische Operationalisierung aus meiner Sicht in der Forstplanung nur mit computergestützten Modellen als Hilfestellung erfolgen kann. Das heißt, die Behandlung der Bestände und die Verjüngungsplanung sind so zu gestalten, dass in der Summe aller Bestände die Indikatoren erreicht werden können. Die zweite Möglichkeit der Integration ist, wie Sie angesprochen haben, über die monetäre Bewertung von Ökosystemleistungen. Dies macht für betriebliche Entscheidungen natürlich nur Sinn, wenn diese auch abgegolten werden. Als Konsequenz sollte die Forstplanung auf gesamtbetrieblicher Ebene dann auch einer ökonomischen Zielsetzung – unter Einbeziehung dieser zusätzlichen Werte – folgen und ihre betrieblichen Entscheidungen danach ausrichten.
Moderne Forsteinrichtung muss Risiken und Unsicherheiten in strategische Entscheidungen miteinbeziehen.
Wie kann die Forsteinrichtung helfen, Waldanliegen noch besser ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen?
Mit Bezug auf die angesprochenen Ökosystemleistungen kann eine moderne, computerunterstützte Forstplanung z.B. konkreter darstellen, welche betrieblichen Auswirkungen Nutzungseinschränkungen, z.B. durch FFH-Gebiete oder veränderte Ausfallrisiken und Wachstumsbedingungen, für den Forstbetrieb und nicht nur den Bestand haben. Diese gehen ja oft über die reine Kompensation von Abtriebswerten hinaus. Das gilt z.B., wenn solche Bestände nicht mehr als finanzieller Risikopuffer für anfälligere Bestände zur Verfügung stehen oder der zeitliche Mehraufwand der Sicherungspflicht von Wanderwegen es dem Betrieb nicht mehr ermöglicht, dem Waldschutz an anderer Stelle nachzukommen. Durch gesamtheitliche betriebliche Forstplanungswerkzeuge, die naturale Daten und Betriebswirtschaft stärker verbinden, können entsprechende Kompensationszahlungen berechnet werden. Gekoppelt mit Wachstumssimulatoren, könnten sie aber auch die Zusammenhänge verschiedener Ökosystemleistungen besser illustrieren. Mit solchen Betrachtungen könnten die Auswirkungen – monetär, aber auch hinsichtlich der Waldbestände – viel plastischer und konkreter dargestellt werden.
Wie sieht die Forsteinrichtung der Zukunft aus?
Aus meiner Sicht ist es wichtig, die Forstplanung nicht nur als vergleichsweise steifes Schema zur Berechnung der Größenordnung eines nachhaltigen Hiebsatzes zu verwenden. Sie ist ein starkes Werkzeug, mit dem die strategische Ausrichtung des Forstbetriebes in eine flächenscharfe, mittelfristige Rahmenplanung integriert wird. Dabei hat sie das Potenzial, über die waldbauliche Planung hinauszugehen. Meine Vision ist es, dass die Forsteinrichtung wieder zu einem gesamtbetrieblichen Planungswerkzeug wird – einem Werkzeug, das unternehmerisches Denken im Forstbetrieb unterstützt und zur Entwicklung innovativer Ideen beiträgt. Dies ist gerade wichtig, wenn Forstbetriebe möglicherweise neue Einnahmequellen erschließen müssen und sie auch mit der klassischen Holznutzung betriebswirtschaftlich und arbeitstechnisch unter einen Hut bringen müssen. Wir arbeiten daran, der neuen Förstergeneration hierfür digitale Werkzeuge und Methoden als Ergänzung – und keineswegs als Ersatz zur bestandesweisen Einzelplanung – mit auf den Weg zu geben. Dazu zählen etwa moderne forstbetriebliche Optimierungsmodelle und Aspekte des Risikomanagements. Genauso wie wir das Altersklassenmodell als „Weiser“, aber auch nicht als Doktrin verwenden, müssen wir uns jetzt trauen, in unseren Betrieben moderne Simulationen zu verwenden. Sie erlauben es, uns durch Gedankenspiele an mögliche individuelle Zukunftslösungen einer nachhaltigen Forstwirtschaft heranzutasten.
Frau Paul, besten Dank für das Gespräch!