Forsteinrichtung

Ertragsregelung in Zeiten des Wandels

Ein Artikel von Robert Spannlang | 04.11.2020 - 06:43
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Univ.-Prof. Dr. Walter Sekot, Universität für Bodenkultur © DI Martin Heidelbauer

Nachhaltigkeit und Ertragsregelung in Zeiten des ökologischen, ökonomischen und sozialen Wandels“ war das Motto des Interviews mit Walter Sekot, der nicht nur seit bald 30 Jahren das Fach Forsteinrichtung an der BOKU vertritt, sondern dieser Tage auch seinen 60. Geburtstag gefeiert hat.

Herr Prof. Sekot, welche gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen der vergangenen 20 Jahre haben die Praxis der Forsteinrichtung am meisten beeinflusst?
Dass Sie hier auf die Praxis Bezug genommen haben, war wichtig. Denn es hat Entwicklungen technologischer und konzeptioneller Art gegeben, die noch nicht wirklich in der allgemeinen Praxis angekommen sind. Was durchaus bereits Eingang in die Praxis gefunden hat, ist etwa die Dynamische Nutzungspotenzialanalyse nach Bronner. Andererseits ist mir nicht bekannt, dass das Projekt „Moses goes practice“ von der BOKU und den Bundesforsten über diese Erprobung hinaus eine praktische Fortsetzung gefunden hat. Moses ist ein Programmpaket zur Simulation der Bestandesentwicklung als Alternative zu den klassischen Ertragstafeln, das von Prof. Hubert Hasenauer und Mitarbeitern entwickelt worden ist. Inventurseitig hat sich einiges getan – schon allein von der Technik her. Ein Stichwort wäre hier die „Ein-Personen-Stichprobe“. Potenziale gibt es etwa auch im Bereich des Laserscannings. Eine unmittelbare forstbetriebliche Anwendung bleibt aber wohl allenfalls den Österreichischen Bundesforsten vorbehalten.

Das „Internet der Dinge“ (IoT) hat längst Einzug in die ertragskundliche Datenerhebung gehalten. Im Zusammenspiel mit verfeinerten Methoden der Fernerkundung sprechen Experten gern vom gläsernen Wald. Ist es eine spannende Zeit, Forsteinrichter zu sein?
Ich bin ja kein „Forsteinrichter“ im eigentlichen Sinn, weil ich nicht praktische Forsteinrichtungen für Betriebe durchführe. Man muss hier differenzieren: Das, was die übliche Aufgabenstellung in der Forsteinrichtung ist, ist noch stark verhaftet in den traditionellen Ansätzen – etwa die Datengewinnung über Bestockungsverhältnisse, die Anwendung einfacher Konzepte der Ertragsregelung, die Erstellung und Aktualisierung von Forstkarten oder die Ermittlung eines adä quaten Hiebsatzes. Das sind nach wie vor die Eckpunkte der Tätigkeiten eines Forsteinrichters. Dazu ist aber zu sagen, dass sich der Hiebsatz zunehmend relativieren wird. Denn wir sind im Zeitalter des Wandels immer weiter weg von den Verhältnissen, die sich sinnvoll mit dem klassischen Normalwaldmodell der Nachhaltigkeit beschreiben lassen. Wir haben es mit Um- und in Zukunft hoffentlich mit Aufbaubetrieben zu tun. Vielfach wird es sich vorübergehend auch um Abbaubetriebe handeln. Es werden sich Baumartenanteile mehr oder weniger planmäßig verschieben. All das wird ja von den klassischen Ansätzen nicht berücksichtigt. Da kann die Größe Hiebsatz nur eine vage Orientierung zur mittelfristigen Planung von Nutzungsmengen bieten. Ich möchte dabei gar nicht von „Nachhaltigkeit“ sprechen, da der ökonomische Aspekt jedenfalls gesondert zu betrachten ist.

Man hört allgemein, dass Zwangsnutzungen derzeit Regelnutzungen völlig in den Hintergrund drängen. Die Beantwortung der Frage: „Wo fällt wie viel an Holz an?“, wird dem Forsteinrichter derzeit völlig aus der Hand genommen …
Das ist eine Entwicklung, die unter dem Eindruck der jüngsten starken Waldschädigungen noch beschleunigt wurde, die aber schon länger vor sich geht. Früher hat es das Konzept des Altersklassenoperates gegeben – also der bestandesweisen, taxatorischen Planung. Davon zieht sich die Forsteinrichtung heute mehr und mehr zurück und sieht ihre Hauptaufgabe in einer Erfassung der gesamtheitlichen Potenziale im Sinne eines Stichprobenoperates für den gesamten Betrieb. Die Bedeutung der mittelfristigen Einzelplanung hat sich sehr stark relativiert. Eine Ausnahme ist hier erwähnenswert: Die Bundesforste halten aufgrund ihres Führungskonzeptes immer noch an dieser taxatorischen Vorgehensweise ergänzend zur Stichprobenerhebung fest. Aber man bemüht sich zunehmend darum, eine Differenzierung vorzunehmen: Welcher Ansatz eignet sich für welche Zwecke? Früher hat es hier eher ein Nebeneinander gegeben – Stichprobe und Taxation – und dann hat man sich gegebenenfalls gegenseitig vorgehalten, ungenau zu sein. Heute ist man so weit gekommen, das jeweilige Instrument ge zielter einzusetzen. Es ist tatsächlich so: Der Hiebsatz kann sinnvollerweise nur mehr eine Rahmengröße sein. Die Vorstellung, ihn als waldbauliche Planung aus Einzelplanungen zu aggregieren, und die Erwartung, dass man das einfach abarbeiten könnte, sind zunehmend illusorisch.

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Digitale Datenwolken in Form eines realen Waldes – hier erhoben mithilfe eines Rotationsscanners der Firma Umweltdata (sh. Forstzeitung 11/2018, S. 12) © Umweltdata GmbH

Waldinventur wird nicht mehr in Intervallen, sondern permanent erhoben. Wie beeinflusst die Verfügbarkeit von hochpräzisen Bestandesdaten quasi in Echtzeit die Forsteinrichtungspraxis?
Die technologischen Möglichkeiten dazu sind in der Tat schon vorhanden. Dass der einzelne forstbetriebliche Anwender tatsächlich wirtschaftlich darstellbar Zugriff darauf hätte, das sehe ich derzeit nicht. Es ist auch die permanente Stichprobeninventur in den Betrieben nicht generell Stand der Dinge. Es stellt sich einerseits die Frage, ob man den Mehraufwand der Umstellung auf ein permanentes Inventursystem auf sich nimmt, und andererseits, ob sich die Bewirtschaftung an den permanenten Stichprobenpunkten dann nicht doch anders darstellt.

Man hat den Eindruck, die ehemals langen Planungszeiträume in der Forstwirtschaft hätten sich im Zeitalter des Klimawandels dramatisch verkürzt. Zu meiner Studienzeit war noch eine Umtriebszeit bei Fichte von mindestens 60 Jahren Stand der Dinge. Wie hat sich die Forsteinrichtung auf diese Beschleunigung eingestellt?
Dazu kann ich keine generelle Aussage machen, weil mir die empirischen, repräsentativen Befunde fehlen. Ich kann hier nur meine persönlichen Eindrücke einbringen. Es ist generell so, dass mit der Weiterentwicklung waldbaulicher Methoden und Konzepte und der besseren ertragskundlichen Durchdringung des Waldwachstums der angemessene Produktionszeitraum immer wieder neu zu überlegen ist. Das ist natürlich immer abhängig von ökologischen Rahmenbedingungen, von den Baumarten, von den Zielsortimenten. Die Strategie, vorbeugend früher zu nutzen und damit das Risiko eines Windwurfes nicht noch weiter anwachsen zu lassen, würde ich nicht als generelle Empfehlung verstanden wissen wollen. Es wird vielmehr differenziert zu beurteilen sein, bei welchen standörtlichen Gegebenheiten man die Wahrscheinlichkeit, dass ein hohes Bestandesalter erreicht werden kann und damit auch entsprechende Dimensionen erzielbar sein werden, wie hoch einschätzt.

Es ist zu beobachten, dass die Forsteinrichtung als hoheitliche Aufgabe des Forstbetriebes immer mehr an externe Dienstleister ausgelagert wird. Wie beurteilen Sie diesen Trend?
Das ist aus der generellen Organisationsentwicklung der Betriebe gut nachvollziehbar – vor allem, wenn man sich ansieht, wie sich die Personalstände auch großer Betriebe entwickelt haben und welche Anforderungen es heute im Sinne des Spezialistentums gibt. Bis auf wenige Ausnahmen – man kann hier die Bundesforste und den Forst- und Landwirtschaftsbetrieb der Stadt Wien nennen – hat sich die Forsteinrichtung als Dienstleistung etabliert. Das mag wirtschaftlich durchaus Sinn machen, bringt aber die Herausforderung mit sich, die eigenen Anforderungen und Ziele entsprechend gut zu kommunizieren. Ich würde davon ausgehen, dass die technischen Tätigkeiten ausgelagert werden, während die betrieblichen Planungen zumindest in enger gemeinsamer Abstimmung mit dem Forstpersonal vor Ort erfolgen sollten. Entscheidungen über Ziele sollten nicht einfach an Dienstleister delegiert werden.

Die Begriffe „Nachhaltigkeit“ und „Wald“ als wesentlicher Betroffener des Klimawandels stehen immer mehr im Fokus der Medien und der Politik. Die Forstwirtschaft und der Umweltschutz bieten hier radikal unterschiedliche Therapien für den Patienten Wald an: „Nutzen und schützen“ hier – „Biodiversitätssicherung durch Außernutzungstellung“ dort. Gibt es einen goldenen Mittelweg?
Das berührt die spannende Frage der Verfügungsrechte. Wer hat welche Interessen und wem steht es zu, entsprechende Entscheidungen zu treffen? Eine Sichtweise könnte sein zu sagen: Es gibt rechtliche Rahmenbedingungen für einen Waldeigentümer, innerhalb derer er frei sein soll, über sein Eigentum zu disponieren. Nun gibt es Interessengruppen, die ihre Vorstellungen von Wald an die forstlichen Verantwortlichen herantragen und möglichst auch umgesetzt sehen wollen, aber ausführen sollen es Dritte. Diesem Spiel sehen sich nun Waldbesitzer und -bewirtschafter vermehrt ausgesetzt. Hier gibt es sicherlich nicht den einen Mittelweg, sondern es steht jedem zu, seine Interessen entsprechend einzubringen. Es ist ein gesellschaftlicher Prozess zu entscheiden, wem welche Verfügungsrechte zugeordnet werden. Es ist aber ein weiterer, welche wem emotional zugestanden werden. Das eine ist das geschriebene Recht, das andere betrifft das Rechtsempfinden der Beteiligten. Das sieht man etwa auch beim Thema „Mountainbiking im Wald“. Da meinen manche, das stehe ihnen generell zu, obwohl es dort, wo es nicht explizit freigegeben wurde, eigentlich verboten ist.

DER HIEBSATZ WIRD SICH ZUNEHMEND RELATIVIEREN. DENN WIR KOMMEN IMMER WEITER WEG VON EINER SINNVOLLEN ANWENDBARKEIT DES KLASSISCHEN NORMALWALDMODELLS.


Univ.-Prof. Dr. Walter Sekot, Universität für Bodenkultur Wien

Wird die multifunktionale Waldwirtschaft als Primat der forstlichen Praxis auch bei uns immer außer Zweifel stehen?
Die Multifunktionalität im Sinne einer Interessenvielfalt am Wald ist ein Faktum. Das wird sich durch gesellschaftliche Entwicklungen eher noch verstärken. Die spannende Frage ist, wie das dann in der Waldbewirtschaftung umzusetzen ist. Hier wären wir wieder bei der Frage: Wem wird zugestanden, welche Entscheidung zu treffen? Wird dem Waldeigentümer einmal gesetzlich vorgeschrieben werden können, einen bestimmten Prozentsatz außer Nutzung zu stellen – mit oder auch ohne entsprechende Abgeltung? Eine andere Möglichkeit wäre, dass bisher als öffentliche Güter betrachtete Waldfunktionen zu beauftragten Dienstleistungen entwickelt werden. Hier würden also neue Märkte entstehen. Ich halte es für wahrscheinlich, dass es künftig beide Formen in unterschiedlichen Bereichen geben wird.

Wie sieht die Forsteinrichtung der Zukunft aus?
Generell ist meine Einschätzung, dass es zu einer weiteren Differenzierung kommt. Es gibt ja auch heute schon eine sehr große Bandbreite von gar keiner Forsteinrichtung bis zu einer sehr intensiven Erhebung mit einer anschließenden, mehr oder weniger spezifischen Modellierung der Bestandesentwicklung. Aber Rahmenbedingungen können sich auch plötzlich ändern. Ich denke nur an die mögliche Anforderung, irgendeine vordefinierte Form der Betriebsplanung vorlegen zu müssen, um Förderungen in Anspruch nehmen zu können. Da hätten wir plötzlich ein Szenario, wo ein Anreiz für viele besteht, sich an diesem Schema zu orientieren.