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Bohnenstangen“ – kranke und sterbende Fichten: auch ökologisch eine Katastrophe! © F. Bentz

Bestandesstabilität

Der H/D-Wert - ein hochaktuelles Problem

Ein Artikel von Felix Bentz | 07.08.2019 - 07:57

Vorausgesetzt sei, dass reine Fichtenbestände bzw. -kulturen in der Regel problematisch, zurzeit jedoch noch weithin Realität sind. Die nachstehenden Ausführungen sind auch auf die Naturverjüngung der Fichte anwendbar.

Der Schneebruch 1979
Ein Schneebruch traf besonders Oberösterreich in den letzten Märztagen des Jahres 1979. Es war ein „Jahrhundertereignis” und die Aufarbeitung des Holzes kostete damals zwölf Menschenleben. Als Forstberater der Landwirtschaftskammer für Oberösterreich für die Bezirke Schärding und Grieskirchen war der Verfasser davon unmittelbar betroffen. Nicht wenige Waldbesitzer hatten in den Jahren davor auf Rat der Forstberatung zum ersten Mal durchforstet. Die reinen Fichtenbestände waren eng gepflanzt (1-1,5 m) und bis dahin nur mehr oder weniger dürre Bäume entnommen worden. Die nicht ganz unrichtige und auch verständliche Reaktion mancher Waldbesitzer war: „Die Durchforstung hilft nicht gegen Schneebruch; den Nachbarn, der nichts getan hat, hat es genauso getroffen”. In manchen Fällen wurde das konkrete Ereignis auch als „Beratungsschaden” eingestuft. Es ist somit verständlich, dass so mancher Forstberater bei verspäteter Pflege (wo ist das nicht der Fall?) nicht nur vorsichtige, sondern praktisch wirkungslose oder gar keine Ratschläge gibt.

Durchforstung bei Fichte – Ein sicheres Mittel gegen Schneebruch?
In der Früh des ersten Tages nach der Katastrophe – es war wohl der 1. April 1979 – entfloh ich dem Telefon und den einlangenden Katastrophenmeldungen, um die eine Frage zu überlegen: Kann eine rechtzeitige und richtige Kronenpflege Sicherheit gegen Schneebruch geben oder nicht? Die Stärke des Durchforstungsgrades war wenige Jahre zuvor der Anlass für meine Dissertation gewesen. Ich war in der Frage nach der Bestandessicherheit vom damals erschienenen ErtragskundeBuch Prof. Franz Assmanns unbefriedigt. Ich wandte mich damals auch an Prof. Peter Abetz, auf dessen Anregung sein Mitarbeiter nach einem Schadereignis eine Grenze bei einem h/d-Wert von 80 feststellte, d. h., Fichten unter 80 waren auch bei diesem starken Schneebruch nicht gebrochen. War das allgemein gültig? Konnte ich den geschockten Waldbesitzern wieder Sicherheit durch rechtzeitige und richtige Pflege vermitteln? Auf der Straße von Schärding nach Münzkirchen war wenige Kilometer nach Schärding, nach dem Gasthof „Zur Alm” rechts ein gleichaltriger Bestand, etwa 60 Jahre alt, zu 70 % gebrochen. Ich stand am Rande des Chaos und zweifelte sehr, ob bei einem solchen „JahrhundertSchneebruch” nicht auch starke Bäume betroffen waren; unter den unbeschädigten war auch mancher schlankere Baum. Dann entdeckte ich plötzlich einen ungewöhnlich starken Baum, er war nicht gebrochen. Irgendwo stand ein zweiter mit ähnlich niedrigem h/d-Wert – er war auch nicht gebrochen. Dann aber ein dritter ähnlich starker. Er hatte einen Wipfelbruch, war am Bestandesrand und hatte eine einseitige Krone. Ich war elektrisiert, fuhr zurück nach Schärding, holte Höhenmesser und Kluppe und konnte feststellen: Ich fand auf der ganzen Fläche unter h/d-Wert von 75 keinen gebrochenen Baum, nur den einen am Bestandesrand mit einseitiger Krone. Neuerlich zurück auf die Bezirksbauernkammer in Schärding, griff ich zum Telefon. Ich erreichte Prof. Hubert Sterba, den ich kannte. Er reagierte prompt: „Ich schicke dir umgehend Bernhard Schön”. Schön arbeitete zwei Wochen lang. In mehreren Höhenlagen der Bruchzone maß er Bäume, gebrochene und nicht gebrochene. 

DIE STAMMZAHLREDUKTION SOLLTE SPÄTESTENS BEI 2 M TOTASTZONE BEGINNEN.


Dr. Felix Bentz

Das überraschende Ergebnis
In der Kernbruchzone – damals in Schärding auf 400-600 m Seehöhe – konnte Schön keinen einzigen gebrochenen Baum mit gleichseitiger Krone unter einem h/d-Wert von 75 finden. In der anschließenden Zone über 600 m (Schnee etwas weniger schwer) war die Grenze bei h/d-Wert 80. Unter 400 m gab es keinen Schneebruch – der Schnee war in Regen übergegangen. Wirklich überraschend war: Zwischen dem h/d-Bereich unter 75 und dem darüber gab es keinen Übergang. Das allgemeine Bruchprozent des Bestandes (70 %) setzte an dieser kritischen Grenze von 75 voll ein, blieb völlig gleich hoch und sank dann bei Bäumen mit sehr hohem h/dWert eher etwas ab (unterständige Bäume). Ein spannendes Resultat! Schön veröffentlichte die Messungen damals in der österreichischen Forstzeitung (Bentz, Schön). Bezeichnen wir diese entscheidende Grenze als „kritischen h/d-Wert”.

"Harmonisches Wachstum" - ein Wegweiser
Der Gedanke liegt nahe, Fichten von Anfang an so zu erziehen, dass das Höhenzum Stärkenwachstum in einem bestimmten stabilen Verhältnis bleibt: unter 75. Wir können dies als „harmonisches Wachstum bezeichnen, etwa 65-74 wäre die Leitlinie. Erst bei h/d-Werten unter 65 ist mit Grobastigkeit und Zuwachsverlust auf der Fläche zu rechnen. Bei h/d-Werten über 75 besteht Bruchgefahr. Unrichtig ist es, diese Grenze bei 80 anzusetzen, der „schwerste Fall” von Schneebelastung ist ja nie auszuschließen. Noch verhängnisvoller ist es, 80 als Idealwert darzustellen. Junge Fichten, zumal auf guten Böden, beginnen in gleichaltrigen Kulturen bald mit kräftigen Höhenschüben. Diesen steht ein jährliches Dicken-Wachstum von 1-1,2 cm (bzw. 5-6 mm Jahrringbreite) gegenüber. Nach Eintritt des Bestandesschlusses bzw. stärkerer Zweigberührung der unteren Beastung beginnt dort der Umbau von Licht- auf Schattennadeln und die Jahrringbreite verringert sich rasch um 1-2 mm und mehr. Das Höhenwachstum bleibt jedoch gleich, verstärkt sich eher. Der h/d-Wert klettert innerhalb weniger Jahre sehr rasch auf 80, über 90, über 100.

Pflanzenverband, erste Stammzahlreduktion
Alles hängt schon von der Wahl eines richtigen, genügend weiten Pflanzverbandes ab. Bei Fichte genügen etwa 2.000 Stück/ha vollauf, um im unteren 10 m Stammbereich den Astbasisdurchmesser nicht über 2 cm steigen zu lassen (Abetz). Das heißt zum Beispiel 3x1,5 m (2.222/ ha), besser vielleicht noch 3x2 m oder 3x1,7 m (Vorschlag Jasser). Enger gepflanzte Fichtenkulturen müssten längstens bei beginnender Totastzone (TA 2 m) auf etwa 1.200-1.500 Pflanzen/ha, zumeist praktisch auf die Hälfte reduziert werden, denn einseitige Kronen sind im verbleibenden Bestand zu vermeiden. Dies geschieht in der Praxis kaum: Bei frischen Stockabschnitten ist mit Wurzelpilzbefall zu rechnen; bei Abständen unter 2 m besteht erhöhte Infektionsgefahr des Nachbarstammes (Wurzelverknotungen). Wurde der Zeitpunkt einer solchen Erstreduktion versäumt und ist der h/dWert schon über 75 bzw. 80 gestiegen, kann man noch nach wenigen Jahren mit einer erfolgreichen Korrektur dieses Versäumnisses rechnen. Dies ist wenig bekannt. Ein Beispiel (Maidoppler, Kopfing) hat uns gezeigt: Bei einem Fichtenbestand, gepflanzt 1,5x1,5 m, 20 Jahre alt, war die Totastzone schon auf 4-6 m angestiegen. Es erfolgte ein radikaler Eingriff. Mehr als 50 % der Stämme wurden entnommen. Die relativ sicheren Bäume (h/d-Wert unter 80 bzw. etwas darüber) wurden allseitig freigestellt. Eine rasch ausgebildete Einseitigkeit der Krone hätte erhöhte Gefahr bedeutet! Der Höhentrieb verkürzte sich unmittelbar auf einen Bruchteil – als unmittelbare Reaktion! Die Jahresringbreite verstärkte sich sehr rasch von 2-3 mm auf ca. 5 mm. Die Reduktion des h/d-Wertes betrug in den ersten Jahren nach Eingriff 1-2 Punkte pro Jahr; der h/d-Wert sank – innerhalb eines Jahres von 80 auf 79 oder 78. 

Grundregeln
Als praktische Grundregel der Bestandespflege bei Fichte gilt, dass im jungen Stangenholz die grüne Krone auf mindestens der halben Stammlänge unbedrängt bzw. unberührt von der Nachbarkrone bleiben soll. Später gilt dies noch für ein gutes Drittel der Krone. Mit U/2 (der halben Umtriebszeit) sollte die Durchforstung abgeschlossen sein. Soweit Kronen einander berühren bzw. bedrängen, führt dies zur Ausbildung von Schattennadeln mit etwa 1/3 der Assimilationsleistung von Lichtnadeln. Entscheidend ist der Zeitpunkt der ersten Stammzahlreduktion. Diese sollte, wie vorbemerkt, spätestens bei 2 m Totastzone (TA) erfolgen, sonst beginnt unmittelbar die erwähnte Verringerung der Jahrringbreite und der h/d-Wert beginnt zu steigen. Genau dieser Eingriff erfolgt in der Regel nicht oder zu spät. Wenn der Höhentrieb eines Baumes in höherem Alter nachlässt, verringert sich von Natur aus verhältnismäßig dazu auch die Breite der Jahresringe. Es ist hier nicht der Platz, auf die Fragen der Auslesedurchforstung und das schwierige Problem der verspäteten Durchforstung einzugehen. Auch die Anwendung der Überlegungen eines „harmonischen Wachstums” für andere Baumarten sowie für Naturverjüngung beziehungsweise für stufigen Waldbau sollen hier nicht erörtert werden. Allerdings gelten die Grundsätze nicht nur für andere Nadelbaumarten, sondern – wenn auch mit anderen Stammzahlen – für das Laubholz. So kann auch bei Eiche die Schneebruchgefahr groß werden. Anfügen wollen wir noch einen Hinweis auf die ökologische Bedeutung einer Stammzahlhaltung gemäß den Überlegungen des „harmonischen Wachstums.”

Ökologische Bedeutung
Den einzelnen Bäumen den nötigen Platz im Kronen- und Wurzelraum zu gewähren, ist nicht nur für Gesundheit und Widerstandskraft der Individuen von größter Bedeutung. Die Wurzeln sind ein Spiegelbild der Krone. Gut bekronte Bäume haben tiefer gehende Stützwurzeln. Ähnliches gilt schon für den Pflanzgarten. Der Wald ist ja bekanntlich mehr als die Summe von Bäumen. Es ist dies die Hochform natürlichen Lebens auf dem Lande. In Einheit mit Klima und Boden handelt es sich um eine für uns kaum fassbare Fülle von Lebensformen. Dazu eine Bemerkung des Bodenkundlers Prof. Herbert Franz zum Verfasser vor vielen Jahrzehnten: „Die Vielfalt der Lebewesen im Boden, ihre Aufgaben, ihre Funktionen, was Boden eigentlich ist, verstehen wir im Letzten nicht und werden es wohl nie erfassen.” Die toten Böden enger Fichtenbestände sind eine ökologische Katastrophe! Natürlich spielt die Frage eines standortgemäßen(!) Mischwaldes eine entscheidende Rolle. Aber wenn schon ein reiner Fichtenbestand vorhanden ist, bedeutet der Dichtstand der Bäume den eigentlichen Todesstoß für Bodenleben und Bodenbewuchs, für die ganze Tierwelt. Das Problem beginnt mit dem Pflanzverband. Ein Reihenverbund ist dem Quadratverband vorzuziehen. Dieser gibt für die Pioniervegetation (das „Unkraut”) längere Zeit Spielraum als der Quadratverbund bei gleicher Pflanzenzahl pro Hektar. Das bedeutet auch geringeren Pflegeaufwand. Freizuhalten sind nur die Pflanzreihen, es erfolgt keine flächige totale „Unkrautbekämpfung”. Bei Ausfällen bzw. Eingriffen werden die Baumabstände beim Quadratverband verdoppelt. Vor allem aber bleibt beim Reihenverband die unersetzliche Funktion der Pioniervegetation erhalten: Rohhumus wird schonend zersetzt, der Boden rasch gegen die humuszehrende Sonne abgedeckt. Ein „kleiner Basenkreislauf ” erfolgt, eine Unzahl von Lebewesen erhält Lebensraum – Schmetterlinge, Käfer etc. So kommen auf der Salweide etwa die Raupen von 160 Schmetterlingsarten vor! Der richtige Grad der Durchforstung – entsprechend einem „harmonischen Wachstum”– wird nicht zuletzt durch einen mäßigen Bodenbewuchs überwiegend zarter Kräuter angezeigt. Rechtzeitige Eingriffe können Mischbaumarten fördern. Viel liegt in der Hand des klugen Waldbesitzers.

Betriebswirtschaftliche Vorteile
Die Vermeidung zu hoher Stammanzahlen auf der Fläche hat bekanntlich auch eine große betriebswirtschaftliche Bedeutung. Die Umtriebszeit kann um Jahre bzw. Jahrzehnte verkürzt werden, dadurch sinkt auch das Katastrophenrisiko deutlich. Dieser Vorteil des geringeren Risikos wird leider von der Forstwirtschaft oft unterschätzt. Eine fachgerechte Bringungs- und Arbeitstechnik (Rückegasse, Pflegegasse etc.) seien beim Pflegeeingriff vorausgesetzt. Wie aber können wir erreichen, dass fehlende Pflege vor allem im Kleinwald in kürzerer Frist durchgeführt wird? Dazu einige Überlegungen in einem kommenden Beitrag.