Wer sich Koblenz von Süden her nähert, fährt nach der Abfahrt von der Autobahn eine gute Viertelstunde lang durch Wald. Es sind die letzten Höhen des Hunsrücks, die hier zur Stadt hin auslaufen, flankiert von den Tälern des Rheins zur Rechten und der Mosel zur Linken – jener beiden Flüsse, die sich in der Stadt vereinen und ihr einst ihren Namen gaben: Confluentes – „die Zusammenfließenden“. Nach dem Abzug der Römer, die die Stadt vor über 2.000 Jahren gründeten und benannten, mutierte das lateinische Wort im Dialekt der Lokalbevölkerung zu Kowelenz. In der Neuzeit wurde daraus das hochdeutsche Koblenz.
Das große Waldstück im Süden der Stadt, die mit 114.000 Einwohnern knapp über der Großstadtgrenze liegt, macht den Löwenanteil ihres 2.500 ha großen kommunalen Waldbesitzes aus, mit dem sie unter den deutschen Großstädten im oberen Mittelfeld rangiert. Weitere Anteile sind über die umliegenden Höhen jenseits von Mosel und Rhein verstreut, die bereits zu den Gebirgszügen der Eifel beziehungsweise des Westerwaldes gehören. Daneben gibt es im Stadtgebiet noch etwa 1.000 ha Wald in nichtkommunalem Besitz. Dabei handelt es sich zumeist um Kleinstprivatwaldparzellen sowie um ein größeres Stück Bundeswald auf einem Militärgelände, das vom in Deutschland im Vergleich zu Österreich eher unbedeutenden Staatsbetrieb Bundesforst bewirtschaftet wird. Das Bundesland Rheinland-Pfalz als weitaus wichtigerer staatlicher Waldbesitzer ist dagegen nicht vertreten. Aus dieser Eigentumsstruktur erklärt sich das forstliche Betriebsmodell der Stadt.
Modell 1: Eigener kommunaler Forstbetrieb
Die Stadt Koblenz leistet sich einen eigenen Forstbetrieb. Dazu ist das Stadtgebiet in drei Forstreviere unterteilt, die jeweils von einem Revierförster geleitet werden, der bei der Stadt verbeamtet ist. Dennoch sind auch die drei Koblenzer Reviere in die nahezu flächendeckende Struktur der Landesforstverwaltung eingegliedert und einem übergeordneten staatlichen Forstamt zugeordnet – dem Forstamt Koblenz der Landesforsten Rheinland-Pfalz. Letzteres umfasst insgesamt zwölf Reviere (fünf staatliche, sechs kommunale, ein privates) mit einer Gesamtwaldfläche von 20.200 ha. Der Einfluss des Forstamtes auf die nichtstaatlichen Reviere beschränkt sich jedoch auf fachliche Fragen, während die betriebswirtschaftliche Entscheidungsgewalt beim Waldbesitzer liegt – in diesem Fall also bei der Stadt Koblenz, genauer gesagt beim Amt für Stadtvermessung und Bodenmanagement sowie beim Forstausschuss des Stadtrates.
Jedes der drei Koblenzer Forstreviere ist in funktionale Zonen unterteilt, in denen entweder die Naherholung, die Holzproduktion oder ein gleichwertiger Mix aus beidem im Vordergrund steht. Ausschlaggebend ist die Nähe der jeweiligen Zone zum Siedlungsgebiet beziehungsweise zu zentralen Erholungseinrichtungen im Wald. Jeder der drei Kommunalförster ist in seinem Revier in erster Linie für den Waldbau verantwortlich. Was darüber hinausgeht, ist revierübergreifend unter den Kollegen aufgeteilt: So kümmert sich der eine um Haushalt und Holzverkauf, der andere um Personal und Jagdgenossenschaften und der dritte um die Erholungsfunktion.
Unterwegs mit dem Förster
Marc Brombach, ein kerniger Westerwälder, leitet seit 2012 das Koblenzer Forstrevier Remstecken und managt revierübergreifend das Erholungsportfolio. Kaum sind wir an diesem Morgen in sein Revier eingebogen, kreuzen die ersten Mountainbiker unseren Weg – auf einem der vielen illegalen Trails, die den Stadtwald in einem dichten Netz durchziehen. „Ständig kommen neue dazu“, ärgert sich Brombach. Es dauere nur wenige Wochen, bis aus einer ersten Spur ein eingefahrener Trail geworden sei – ein Dorn im Auge des Försters, denn die Trails richten Schäden an seiner Buchen-Naturverjüngung an. Versuche, sich mit der Szene offiziell zu einigen, sind bislang gescheitert. In den Verhandlungen, an denen auch ein ortsansässiger namhafter Mountainbike-Hersteller beteiligt war, verlangten die Biker die Bereitstellung eines 50 km langen Streckennetzes. Ein solches Netz zusätzlich zu dem ohnehin schon dichten Wegenetz im Stadtwald sei vom Forstbetrieb mit den derzeitigen Mitteln nicht zu unterhalten, so Brombach. So behilft man sich einstweilen mit mündlichen Absprachen, was angesichts der nur lose organisierten Zielgruppe mehr schlecht als recht funktioniere. Die Bikergruppe, auf die wir treffen, zeigt sich aber verständig. Nach einem längeren Gespräch, das interessante Einblicke in die Bedürfnisse beider Seiten liefert, lässt Brombach, der sich in der Fachsprache der Szene bestens auszukennen scheint, sie ziehen – allerdings nur auf dem offiziellen Weg.
Besucherzentrum im Koblenzer Wildpark Remstecken: Die Waldinformation wird vom Forstbetrieb, der Seminarraum („Waldökostation“) vom Umweltamt der Stadt betrieben. © J. Parschau
Wir fahren weiter zu Brombachs erster großer Baustelle nach Übernahme seines Reviers – dem Wildpark Remstecken. Der Park ist der Besuchermagnet im Koblenzer Stadtwald. Die Gehege selbst, die verschiedene Schalen- und Federwildarten beherbergen, sind an einen Landwirt verpachtet, der seine Einkünfte aus dem Futter-, Wildfleisch- und Lebendwildverkauf bezieht. Das läuft. Auch das angegliederte Ausflugslokal im ehemaligen Forsthaus ist längst lukrativ verpachtet. Schon Brombachs Vorgänger hatten nicht mehr dort residiert. Dem Förster obliegt nach wie vor die landschaftliche Pflege des Geländes, und hier gab und gibt es einiges zu tun. Bislang hat Brombach den versumpften Ententeich sowie den Spielplatz restaurieren lassen. Als nächstes ist ein Update des in die Jahre gekommenen Waldinformationsraums im Besucherzentrum geplant, das der Forstbetrieb in Partnerschaft mit dem städtischen Umweltamt betreibt. „Man könnte noch viel mehr machen“, sagt Brombach, doch es sei oft schwierig, den Stadtoberen die Kosten eines Erholungswaldes begreiflich zu machen.
Naturverjüngung innerhalb, Kahlfraß außerhalb des Schutzzauns: Solche Bilder sollen in Zukunft der Vergangenheit angehören. © J. Parschau
Brombachs zweite große Baustelle ist die Einführung der Regiejagd. Schon seine Vorgänger hatten für dieses Modell gekämpft, das bei den Landesforsten die Regel, im Kommunalwald aber (noch) die Ausnahme ist. Kommunale Jagdreviere sind in Rheinland-Pfalz traditionell verpachtet. Für die nachhaltige Forstwirtschaft hat sich dies als nicht ideal erwiesen, denn die Förster haben kaum Druckmittel an der Hand, um die oft lokalpolitisch einflussreichen Pächter zur Einhaltung waldverträglicher Schalenwilddichten zu bewegen. Jahrzehntelang habe diese Situation auch in Koblenz geherrscht, so Brombach. Ohne Wildzäune oder Pflanzröhren sei im Stadtwald kaum Verjüngung möglich gewesen. Trotz der immensen Kosten der Schäden und Schutzmaßnahmen (rund 100.000 €/Jahr) war lange politisch nichts zu machen: Die Schlüsselfigur unter den Jagdpächtern saß im Stadtrat und spielte immer dann „Zünglein an der Waage“, wenn sie ihr Hobby bedroht sah. Erst nach dem Rückzug dieses Herrn aus der Politik kam Bewegung in die Sache: 2014 stimmte der Stadtrat für die Regiejagd, vorerst nur in Brombachs Revier. Die übrigen Pachtjagden wurden neu ausgeschrieben. Der Förster investierte unzählige unbezahlte Überstunden in das Projekt, zimmerte an Wochenenden selbst Hochsitze, um den Übergang kostengünstig zu gestalten. Sein Einsatz zahlt sich aus: Stolz zeigt er mir seine erste Tannen-Naturverjüngung, die ganz ohne Schutz unter einigen Altbäumen – die Weißtanne ist am Mittelrhein selten und gilt als nicht heimisch – aufgekommen ist.
Waldbaulich folgt Brombach der Linie der Landesforsten, die sich wie überall in Deutschland seit den Neunzigern dem naturnahen Waldbau zugewandt haben. Es gilt, stabile, klimawandelresistente Mischbestände aus heimischen und standortgerechten eingeführten Baumarten zu schaffen. Der Koblenzer Stadtwald ist seit jeher laubholzdominiert. Vorherrschend ist die Buche, bei der man auf Naturverjüngung setzt. An anderer Stelle wird gepflanzt – vor allem auf größeren Kahlflächen, die durch den Zusammenbruch der nicht standortgerechten Fichte, die einst von den Preußen eingeführt wurde, entstanden sind. Neben heimischen Laubhölzern setzt man dabei vor allem auf die Douglasie, die sich im Koblenzer Stadtwald auch natürlich verjüngt.
Der Wildladen im Forstamt Koblenz wird über einen zentralen Schlachtbetrieb der Landesforsten mit Wildbret aus den Regiejagden beliefert. © J. Parschau
Die Rolle der Landesforsten
Carmen Barth leitet seit 2017 das Forstamt Koblenz der Landesforsten und fungiert als Brombachs Vorgesetzte in fachlichen Fragen. Zuvor war die fröhliche Forstfrau Stellvertreterin im Forstamt Soonwald im Hunsrück. Schon damals machte sie sich durch gute Öffentlichkeitsarbeit einen Namen, baute ein Walderlebniszentrum auf, das heute als Vorzeigeprojekt gilt. Doch dort auf dem Land herrschten andere Verhältnisse, das Verständnis für Urproduktion war in der Bevölkerung noch stark verwurzelt. Nicht so in Koblenz: „Man bekommt den Eindruck, dass wir Forstleute hier zunehmend nicht als Waldpfleger, sondern als Waldstörer betrachtet werden.“ Das nage am beruflichen Selbstverständnis. Die Veröffentlichungen des bekannten Kollegen Peter Wohlleben, der die Realität der ökologischen Waldwende in Deutschland verschweige und mit seinen Halbwahrheiten ein Zerrbild von Wald und Forstwirtschaft zeichne, hätten dieses negative Image in jüngster Zeit noch verstärkt.
„Wenn sich das gewohnte Waldbild ändert, etwa bei Verjüngungshieben, ist feinfühlige Kommunikation gefragt.“ –Carmen Barth, Forstamt Koblenz © J. Parschau
„Gleichzeitig erwartet die Stadtbevölkerung einen funktionierenden, jederzeit frei verfügbaren Erholungswald.“ Beschwerden seien häufig. Meist gehe es um den Wegezustand, oft genug aber auch um Holzerntemaßnahmen. „Wenn sich das gewohnte Waldbild ändert, etwa bei Verjüngungshieben, ist feinfühlige Kommunikation gefragt“, so Barth, die bei der Konfliktlösung auf Prävention und persönlichen Kontakt setzt. Um das Verständnis für die multifunktionale Forstwirtschaft zu fördern, erarbeitet das Forstamt alljährlich zusammen mit der Stadtverwaltung und Naturschutzverbänden einen umfangreichen Veranstaltungskalender mit Walderlebnissen für Jung und Alt. Für Besucheranliegen haben die Landesforsten das Kontaktformular „Webförster“ eingerichtet. Eine GIS-basierte App ist geplant. Trotzdem erreichten viele Beschwerden das Forstamt über die Medien oder fachfremde Stellen. So werde aus einer Mücke schnell ein Elefant. Dies zu ändern, darin sieht Barth eine Hauptaufgabe ihrer Amtszeit.
Teil 2 dieser Reportage wird im Juni erscheinen. Darin wird die ländlich geprägte Kleinstadt Rhens vorgestellt, die südlich an Koblenz grenzt, zum selben Forstamt gehört, aber einem anderen forstlichen Betriebsmodell folgt (staatliche Beförsterung des Kommunalwaldes).
Die Website des Forstamts Koblenz gibt einen Überblick über alle 12 dem Forstamt unterstellten Reviere neben nützlichen Informationen der Landesforsten Rheinland-Pfalz.