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Blick auf die Stadt Rhens, im Hintergrund die Nachbargemeinden Brey und Spay, jenseits des Rheins die Stadt Braubach mit der Marksburg und den Schornsteinen ihrer stillgelegten Blei- und Silberhütte © J. Parschau

KOMMUNALWALD

Der Wald für alle (2)

Ein Artikel von Jörg Parschau | 01.06.2019 - 00:04
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Altes Rathaus, Rhens: Noch in den Neunzigern hatte der Förster hier sein Büro – inklusive wöchentlicher Sprechstunde. © J. Parschau

Das Städtchen Rhens liegt unmittelbar südlich von Koblenz im Oberen Mittelrheintal, das seit 2002 UNESCO-Welterbe-Status hat. Im schmucken Zentrum des 3.000 Einwohner zählenden Ortes gruppieren sich Fachwerkhäuser um ein spitzgiebliges Rathaus, umgeben von den Resten der mittelalterlichen Stadtmauer. Moderne Ein- und Mehrfamilienhäuser bekleiden die umliegenden Hänge. Das Wahrzeichen der Stadt steht auf halber Höhe inmitten von Obst- und Weingärten: der Königsstuhl, ein thronartiges Denkmal, das daran erinnert, dass sich in Rhens im Mittelalter die deutschen Kurfürsten zur Königswahl versammelten. Erst nach dieser Legitimation durfte der König nach Rom weiterziehen, um sich vom Papst zum Kaiser krönen zu lassen.

Dank eines weiten Seitentals des Rheins steigen die Hänge hinter der Stadt vergleichsweise sanft zum Hochplateau des Hunsrücks an – in starkem Kontrast zu den Steilhängen auf der gegenüberliegenden Rheinseite, die zum Taunus gehören und über denen die stolze Marksburg wacht. Die sanftere Topografie um Rhens schafft gute Voraus­setzungen für eine forstliche Nutzung der Wälder der Gemarkung, von denen 500 ha im Besitz der Stadt sind. Da diese Fläche zu gering ist, um sie von einem eigenen kommunalen Forst­betrieb bewirtschaften zu lassen, nimmt Rhens dafür die Dienste der Landesforsten Rheinland-Pfalz direkt in Anspruch.

 

Modell 2: Staatliche Beförsterung des Kommunalwaldes
Der für den Rhenser Stadtwald zuständige staatliche Revier­förster ist Dieter Kaul, ein gemütlicher Hunsrücker. Sein Revier, das Forstrevier Rhens, umfasst eine Waldfläche von insgesamt 1.500 ha, bestehend aus 900 ha Staatswald im Besitz des Landes Rheinland-Pfalz und 600 ha Kommunalwald im Besitz dreier ­Gemeinden. Auch Kauls Revier ist dem staatlichen Forstamt Koblenz zugeordnet (siehe Teil 1). Was die Bewirtschaftung seines Staatswaldanteils betrifft, ist Kaul an die Weisungen des Forstamtes gebunden. In den von ihm betreuten Kommunalwäldern ähnelt seine Rolle hingegen jener der kommunalen Förster im Koblenzer Stadtwald, die sich an den fachlichen Vorgaben des Forstamtes zwar orientieren, letztlich aber nur an die betriebswirtschaftliche Entscheidungsgewalt des Stadtrats gebunden sind. Im besten Fall ermöglicht dies dem Förster im Kommunalwald einen größeren waldbaulichen Handlungsspielraum.

 
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Schabernack mit Förster Kaul (Mitte) beim Rhenser Stadtfest © E. Petersen

Unterwegs mit dem Förster
Ich kenne Kaul seit vielen Jahren, denn ich leistete einst in seinem Forstrevier ­Zivildienst. Die Leidenschaft, mit der er seinen Beruf ausübt, inspirierte mich, selbst Forstwirtschaft zu studieren. Nun bin ich seit Langem wieder einmal mit ihm im Revier unterwegs. Schon auf unserer kurzen Fahrt durch den Rhenser Ortskern hinaus in den Wald wird klar, dass er noch immer der Bilderbuchförster ist, als den ich ihn einst kennenlernte: ­Jeder kennt ihn, jeder grüßt ihn – Menschen auf der Straße, Menschen auf Traktoren, Menschen jeglichen Alters. Selbst in einer Kleinstadt ist ein solcher Bekanntheitsgrad für Zugezogene nicht unbedingt selbstverständlich, zumal Rhens zunehmend zum Koblenzer Speckgürtel gehört und sich des Försters Kerngeschäft meist fernab des öffentlichen Lebens abspielt. Doch Kaul, der sein Revier 1990 übernahm, brachte sich von Anfang an ein in der Gemeinde, engagierte sich in Vereinen und Kirche, packte bei Stadt­festen mit an, saß im Stadtrat – zunächst als Junggeselle, inzwischen unterstützt von seiner nicht minder engagierten Frau und den beiden Söhnen im Teenager- und jungen Erwachsenenalter.

 
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Schulwald der Grundschule Waldesch © J. Parschau

Mehr noch als seinem ehrenamtlichen Engagement verdankt Kaul seinen Status im Ort jedoch seiner intensiven forst­lichen Öffentlichkeitsarbeit: Waldführungen für verschiedene Zielgruppen, Ferienspaß für die Jugend und eine intensive Zusammenarbeit mit Schulen und Kindergärten haben ihn bei allen Generationen bekannt gemacht. Fast wöchentlich findet irgendeine Veranstaltung statt, die seiner Öffentlichkeitsarbeit zuzurechnen ist. Eine mögliche Abgabe dieser Arbeit an spezialisierte Waldpädagogen im Dienste der Landesforsten sieht Kaul kritisch: „Die Leute hier wollen Authentizität. Die wollen, dass ihr Förster das macht.“

Zu Kauls bewährtesten Initiativen gehört sein Waldschulprogramm, das jede Klasse 3 der Rhenser Grundschule durchläuft. Das Programm ist ins Fach Sachkunde integriert und besteht aus acht übers Jahr verteilten Zwei-Tage-Blöcken, an denen der Förster den Kindern den Wald als Lebens- und Wirtschaftsraum näherbringt. Tag 1 dient dabei jeweils der Vorbereitung im Klassenraum, an Tag 2 geht es hinaus ins Revier. „Mittlerweile kommen Eltern auf mich zu, die selbst schon als Kind dabei waren“, erzählt Kaul verschmitzt. Mit den Grundschülern der Nachbargemeinde Waldesch, die kaum Kommunalwald besitzt, pflanzte er in den Neunzigern einen eigenen „Schulwald“. Inzwischen ist daraus ein lauschiger Laubholzhain geworden, dessen verschlungene Pfade zu Abenteuerspielen einladen. Die Aktion im Nachbarort war so erfolgreich, dass die Rhenser Grundschule bald auch einen Schulwald haben wollte. Auch diesen Wunsch setzte der umtriebige Förster in die Tat um.

 

Die Leute hier wollen Authentizität. Die wollen, dass ihr Förster das macht.


Dieter Kaul, Revierleiter Forstrevier Rhens, zum Thema Waldpädagogik

 

Was Konflikte betrifft, ist die Lage in Rhens entspannter als in Koblenz. Mit Mountainbikern gebe es keine Probleme, so Kaul, was am weiteren Wegenetz in seinem Revier liege: „Wilde“ Trails entstünden meist dort, wo die Biker schnell querfeldein von einem zum nächsten Weg wechseln könnten. Dies sei im Rhenser Stadtwald (Wegedichte: 40 m/ha) kaum möglich. Auch das fußläufige Publikum sei in seinem Revier umgänglicher als in den Revieren der benachbarten Großstadt: „Wir bekommen hier vor allem Fernwanderer auf dem Rhein­burgenweg, eine relativ homogene, gut vorbereitete Gruppe. In Koblenz hast du alles, vom Feierabendjogger über den Sonntagsspaziergänger bis zum Jakobspilger. Das macht‘s kompliziert.“ Bei Beschwerden wenden sich die Rhenser meist direkt an ihren Förster. „Der ‚Webförster‘ [Kontaktformular der Landesforsten, Anm. d. Red.] wurde bei mir bisher nur einmal benutzt“, so Kaul.

 
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Wanderer und Jäger sind die bedeutendsten Freizeitnutzer im Rhenser Stadtwald – und geraten bisweilen aneinander. © J. Parschau

Probleme gebe es fast nur mit der Jägerschaft. Die Lage, wie Kaul sie schildert, entspricht der bereits im Koblenzer Stadtwald kennengelernten Situation: Auch die Stadt Rhens favorisierte jahrzehntelang das Pachtjagdmodell. Die Jagdpächter betrieben nach Lust und Laune „Wildzucht“ auf Kosten der bereitgestellten Waldressource und machten ihren politischen Einfluss geltend, wann immer der Förster diesen Zustand ändern wollte. Die Kosten waren auch in Rhens immens. Kaul, kein Freund von Pflanzröhren, setzte beim Wildschutz auf Zäune: „Im Rhenser Stadtwald haben wir heute auf 500 ha 36 km Zaun. So ein Zaun steht 20 bis 30 Jahre lang und kostet während dieser Zeit 27 € pro Laufmeter [je 9 € für Aufbau, Unterhalt und Abbau]. Macht fast 1 Mio. € an Kosten für den derzeitigen Zaunbestand. Soviel wirft der Wald im selben Zeitraum an Gewinn nicht ab.“ Dennoch tat sich der Rhenser Stadtrat lange schwer, den einflussreichen Jagdpächtern den Riegel vorzuschieben. Erst als sich auch die ­öffentliche Meinung gegen die Jägerschaft wandte – es war wiederholt zu Konflikten zwischen allzu selbstherrlich auftretenden Jagdpächtern und Wanderern gekommen – kam Bewegung in die Sache und Kaul konnte den Stadtrat von einem Wechsel zum Regiejagdmodell überzeugen, das dieses Jahr eingeführt wird.

 
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Nach Windwurf entstandene Verjüngungsfläche im Rhenser Stadtwald © J. Parschau

Waldbau
Waldbaulich folgt auch Kaul der Linie der Landesforsten, die naturnahe, stabile und klimafitte Wälder anstreben. Im Laufe der nunmehr fast drei Jahrzehnte seiner Amtszeit ging der Anteil der nicht standortgerechten Fichte in seinem Revier von 30% auf 3% zurück. Noch stärker als seine Kollegen im Koblenzer Stadtwald setzt Kaul beim Ersatz der einstigen „Brotbaumart“ auf Naturverjüngung, auch auf Windwurfflächen. „Douglasie in Reihe pflanzen ist das Einfachste“, so Kaul. Im Großstadtwald könne dies durchaus sinnvoll sein, weil die Pflegeleichtigkeit solcher Kulturen es dem Forstbetrieb erlaube, sich anderen Aufgabenschwerpunkten zu widmen, etwa einem komplexeren ­Erholungsmanagement. Doch Kaul sieht den aktuellen Douglasienboom kritisch, warnt vor der Pilzanfälligkeit der Baumart in älteren Reinbeständen. Eine unterschätzte Nadelholzalternative sieht er in der Lärche, die am Mittelrhein einst als schnellwüchsige Beimischung (Schirmeffekt) in Buchenpflanzungen eingeführt wurde und sich heute auf Kahlflächen zwischen heimischen Laubhölzern mitverjüngt. Als Lichtbaumart sei sie zwar pflegeintensiver als die Douglasie, habe sich in der Region aber als überraschend stabil erwiesen und produziere zudem Wertholz.

 
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Typisch am ländlichen Mittelrhein: Aufgegebene Eichen-Hainbuchen-Niederwälder. Kaul überführt sie konsequent in Hochwälder (hier: Kontrollfläche). © J. Parschau

Auf mein Stichwort hin kommen wir auf Peter Wohlleben zu sprechen. Kaul sieht die Debatte um den „Nestbeschmutzer“ gelassen: „Alle meckern über ihn, aber keiner macht‘s besser“, – womit er keineswegs das Fachliche meint, sondern Wohllebens Selbstvermarktung. Bücher zu schreiben und durch Talkshows zu tingeln, liegt dem Macher Kaul jedoch fern. Lieber verbringt er seine Freizeit mit den Söhnen, die die Forstbegeisterung vom Vater geerbt haben, im eigenen Privatwald (25 ha), den er mir am Ende unseres Tages zeigt. Hier strotzen die umzäunten Naturverjüngungsflächen nur so von potenziellem Wertholz – Eichen, Lärchen, Buntlaubhölzer – und zeigen eindrucksvoll, was bei idealer Pflege aus der lokalen Baumartenvielfalt herauszukitzeln ist. Dazwischen junge Buchen fürs reguläre Stammholz sowie Birken und Fichten, die noch als dienende Baumarten toleriert werden.

Rufen nach einer Ausdehnung der geschützten Waldfläche in Deutschland (derzeit 4,1%) steht Kaul, wie viele seiner Kollegen, kritisch gegenüber: „Wir haben hier in Mitteleuropa für die nachhaltige Forstwirtschaft so gute Voraussetzungen wie fast nirgendwo auf der Welt – was Klima und Böden betrifft ebenso wie in Bezug auf das Know-how. Je mehr Fläche wir bei uns aus der Nutzung nehmen, desto mehr Holz müssen wir aus Regionen einführen, wo die Bedingungen weniger ideal sind.“ Es gelte, naturnah zu wirtschaften und dabei das öffentliche Verständnis für die Multifunktionalität der heimischen Wälder zu erhalten. Diese Herausforderung hat Förster Kaul in seinem Rhenser Revier angenommen – und meistert sie seit Jahrzehnten mit Bravour.