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Eine Digitalisierung des Waldes soll vor Raubbau schützen. © Adina Voicu

FORSTLICHE DIGITALISIERUNG   

Die Welt retten mit Wald-Digitalisierung?

Ein Artikel von Günther Bronner | 31.10.2019 - 09:44

Zuerst eine Klarstellung: Mit Digitalisierung des Waldes meine ich tatsächlich den Wald, die einzelnen wachsenden Bäume, das Totholz, die Naturverjüngung, nicht nur das Holz und schon gar nicht nur das geschlägerte Holz. Letztere Digitalisierung ist schon lang im Gange, sie hat mit der Firma Latschbacher in den 1980er-Jahren begonnen.

Bäume „auf Abwegen“

Hand aufs Herz: Sie halten sich immer an Geschwindigkeitsbeschränkungen? Oder doch nur dort, wo Sie eine Kontrolle vermuten? Genauso verhält es sich mit der illegalen Holznutzung. In einer Volkswirtschaft, in der ein Forstmeister mit seinem Einkommen kaum seine Familie ernähren kann, ist es wohl eine lässliche Sünde, ab und zu wegzusehen (und dafür die Hand aufzuhalten), wenn ein paar Bäume auf Abwege geraten. Vielleicht sind es ja zufälligerweise die wertvollsten Stämme, aber der Wald ist finster, er ist geduldig und wenn man es schlau angeht, merkt das ohnehin keiner.

Der WWF und andere NGOs haben längst die Fernerkundung entdeckt und verfolgen weltweit die Holzschlägerung auf Satellitenbildern. Gegen den schleichenden und selektiven Holzdiebstahl sind sie jedoch machtlos. Auf frei verfügbaren Satellitenbildern sind nur Kahlschläge sichtbar. Nicht umsonst ist die klassische Taxation in Schwellenländern fast ausnahmslos die einzige angewandte Methode zur flächigen Kartierung der forstlichen Ressourcen. Bei Schätzfehlern von 20% beim Vorrat und 40% beim Zuwachs kann man die Auswirkungen illegaler Holznutzungen bequem unter den Teppich kehren. Gerade in Schutzgebieten kann man mit einer selektiven illegalen Holzernte erfolgreich unter der Wahrnehmungsgrenze bleiben. Zudem gibt es dort vielfach nicht einmal eine ­Taxation.

Digitales Kronenmodell gegen illegale Holznutzung 

Ein hochauflösendes digitales Kronenhöhenmodell aus Laserscanning würde ganz andere Möglichkeiten eröffnen. Die Entnahme einzelner großer Bäume wäre erkennbar, selbst wenn nur die erste Aufnahme mit Flugzeug-Laserscanning gemacht wurde. Die Folgeaufnahmen können auch mittels Satellitenbildern erfolgen, vorzugsweise mittels Stereo-Szenen in hoher Auflösung. Unerklärlich ist, warum von den Entwicklungsbanken und anderen Geldgebern in den zahlreichen Ausschreibungen für Projekte der forstlichen Ressourcen-Kartierung ein Kronenhöhenmodell aus Laserscanning nicht als zwingender Projektbestandteil vorgegeben wird. Damit könnte auf sehr einfache Weise ein maximaler Effekt für mehr Nachhaltigkeit und weniger Raubbau erzielt werden.

These 1 gilt übrigens auch hierzulande – mit dem Unterschied, dass „Raubbau“ in unseren Wäldern nicht aus böser Absicht, sondern bisweilen aus Unkenntnis stattfindet. Ein Kronenhöhenmodell beschreibt schon sehr genau die Verteilung der forstlichen Ressourcen eines Waldbesitzes. Die Genauigkeit könnte deutlich gesteigert werden, wenn man von einem durchforstenden Harvester, vom Laufwagen oder vom Rucksack aus scannt. Mit solchen Daten könnten Sortimente und Holzqualität für den Einzelbaum ermittelt werden. Die räumliche Verteilung der Ressourcen und der zu erwartende Wertzuwachs können anschließend laufend mit den Holzernte-Aktivitäten verglichen und auf Nachhaltigkeits-Kriterien überprüft werden.

3 Thesen zur Waldrettung

  • Die Digitalisierung des Waldes schützt vor Raubbau.
  • Wir benötigen bessere und vor allem klimasensitive Modelle für das Waldwachstum.
  • Nationale Forstinventuren beschreiben Probleme, tragen aber wenig zu deren Lösung bei.

Funktionieren Ertragstafeln in Zeiten des Klimawandels?

Eindeutig nein – und sie waren auch bisher nur Krücken, die wir in Ermangelung besserer Lösungen verwenden mussten. Ertragstafeln wurden in Reinbeständen mit Bezug auf die vor 50 Jahren geltenden Behandlungskonzepte erstellt. Sie stimmen nicht in Mischbeständen, sie nehmen keine Rücksicht auf moderne Durchforstungsstrategien und können natürlich nicht auf geänderte klimatische Verhältnisse reagieren. Wenn wir Prognosen über das zu erwartende Wachstum des Waldes stellen möchten, führt kein Weg vorbei an einer Einzelbaum-basierten Waldwachstumssimulation (WWS), die alle oben genannten Rahmenbedingungen berücksichtigt.

Jahrzehntelang steckte die WWS in der Krise, weil es einen extrem hohen Aufwand erforderte, die erforderlichen Eingangsdaten zu gewinnen. Anwendung fand sie daher fast nur in wissenschaftlichen Projekten. Mittels Terrestrischem Laserscanning (TLS) bekommen wir nun viele der benötigten Daten rasch und in hoher Genauigkeit. Baumposition, Durchmesser in beliebiger Höhe, Baumhöhe, Größe und Geometrie der Baumkronen, Abstand zu den benachbarten Bäumen, Exposition, Neigung, Seehöhe. Zu ergänzen wären Geologie und Boden sowie Klimadaten. Ein Klimamodell inklusive der Verteilung des Niederschlages gibt es bei der ZAMG für ganz Österreich in 1km Auflösung. 

Hat man einmal ein derartiges WWS-Modell erstellt, dann kann man an den Klima-Schrauben drehen: Wie ändert sich das Wachstum bei 2° Erwärmung? (Anmerkung: In Teilen des Waldviertels hat sich die Durchschnittstemperatur in den vergangenen 100 Jahren bereits um 3° erhöht!) Auch, wie sich eine starke Durchforstung oder eine Änderung der Baumartenmischung auf Durchmesser und Umtriebszeit auswirkt, lässt sich mittels WWS beantworten. Umweltdata wird ab 2020 TLS bei Inventuren einsetzen und die Daten der WWS-Forschung zur Verfügung stellen.

Ressourcenkartierung für gutes Forstmanagement

Wenn man die Kosten einer Nationalen Forstinventur (NFI) betrachtet und den aktuell hervorgebrachten Nutzen mit dem Potenzial eines flächendeckenden Kronenhöhenmodells aus Flugzeug-Laserscanning vergleicht, müsste man in schwere Depressionen verfallen. Die Österreichische Waldinventur ist da zum Glück eine löbliche Ausnahme, im BFW ist die Fernerkundung zum festen Bestandteil des Repertoires geworden. 

Um ein anderes Beispiel zu nennen: In der Ukraine soll um kolportierte 50 Mio. € eine NFI implementiert werden. Nach 5 Jahren NFI kennen die politischen Entscheidungsträger vielleicht das Ausmaß der illegalen Holznutzung um zwei Kommastellen genauer. An der forstlichen Praxis hat sich dadurch höchstwahrscheinlich nichts geändert. Ein flächendeckendes Kronenhöhenmodell für die Ukraine würde nur etwa 15 Mio. € kosten. Man könnte damit sofort das forstliche Management unterstützen und grelles Licht in die Grauzonen der Branche bringen. Der Aufwand für die Inventur könnte sich danach auf 15 Mio. € reduzieren und am Ende bleiben 20 Mio. € für den Aufbau moderner Verwaltungs- und Bewirtschaftungsstrukturen im Staatswald. Das Beispiel kann man vermutlich auf alle post-sowjetischen Staaten übertragen.

Es tut mir leid, wenn ich vereinfacht und polemisch formuliert habe. Aber angesichts der ineffizienten Ver(sch)wendung unserer Entwicklungsgelder sollte man schon über bessere Möglichkeiten nachdenken dürfen. Erprobte Lösungen gibt es, man muss sie nur sehen wollen.

Ein Landesforstdirektor hat einmal zu mir gesagt: Im Wald ist es finster und das soll auch so bleiben. Er hat leider nicht das Mikroklima gemeint, sondern die Digitalisierung. 

Es werde Licht!