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© E. Senitza

Projekt Resynat

Naturnaher Waldbau: Kunst- oder Lehrstück?

Ein Artikel von Dr. Georg Frank (BFW), Dr. Eckhart Senitza (Pro Silva Austria), Sarah Paterno (BFW), Nastasja Harnack (BFW), Herfried Steiner (BFW) | 10.01.2022 - 09:36
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ReSynat-Fläche in Buchau © E. Senitza

Die Grundzüge des Dauerwaldgedankens begannen mit Prof. Dr. Alfred Möller bereits in den 1920er Jahren.  Schon damals war klar, dass es sich um einen Leitgedanken und nicht um feste, tabellarische Vorgaben handelt, wie es in jener Zeit im klassischen Waldbau üblich war. (Heinrich Cotta: „Man soll unter dem Waldbau etwas verstehen, was man im Felde unter Feldbau versteht.“)

Eine Gebrauchsanweisung für die naturnahe Waldbewirtschaftung abseits des schlagweisen Hochwaldes sucht man auch heute noch vergeblich. So ist es umso wichtiger, die Vorreiter einer naturnahen Dauerwaldbewirtschaftung wissenschaftlich zu begleiten, waldbauliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede sowie ökonomische und ökologische Stärken und Schwächen zu ergründen. Genau hier setzt das Projekt ReSynatWald 2.0 – Integrate Austria (Entwicklung eines Referenzflächen-Systems zur wissenschaftlichen Quantifizierung naturnaher Waldbaumethoden) an.

Das Studium und die langfristige Dokumentation der strukturellen und ökonomischen Entwicklung der bestehenden 18 Referenzflächen zwischen 4 und 12 ha in sechs Bundesländern und zehn Wuchsgebieten (Stand 2021) sind die grundlegenden Ziele des Projektes. Dadurch werden waldbauliche, ökologische und ökonomische Faktoren gleichermaßen betrachtet, sodass schlussendlich neben den rein betriebswirtschaftlichen Aspekten auch zur Beantwortung der Frage beigetragen wird, wie viel der integrative Naturschutz im Wald leisten kann und was er kostet. Das Projekt-Team stellt dem jeweiligen Waldbesitzer allerdings keine Vorgaben und gibt keine Empfehlungen ab. Vielmehr wird die jeweilige Wirtschaftsweise in den teilnehmenden Pro-Silva-Beispielbetrieben kontinuierlich dokumentiert.

Pro Silva Austria ist dabei die Drehscheibe und für die Auswahl geeigneter Referenzflächen aus den eigenen Beispielbetrieben sowie die Motivation der Waldeigentümer verantwortlich. Das eigentliche Monitoring erfolgt durch das Bundesforschungszentrum für Wald (BFW).

Die Flächen repräsentieren eine geschlossene wirtschaftliche Einheit und werden als Best-Practice-Beispiele naturnaher Waldbewirtschaftung eingerichtet. In einem fünfjährigen Aufnahmezyklus konnten bereits zwölf Flächen wiederholt erhoben werden. Die Erhebungsmethodik wurde durch ein verbindliches Manual mit jener des Österreichischen Naturwaldreservate-Programmes abgestimmt. Diese Kompatibilität bietet insofern Vorteile, als sie als Basis für Vergleiche mit nicht bewirtschafteten Flächen verwendet werden kann und ein größerer Anwenderkreis von ihr profitiert. 

Die Referenzflächen dienen als Langzeit-Forschungsflächen. Im gesamten Projektzeitraum verpflichten sich die Waldbewirtschafter zu einer regelmäßigen Protokollierung durchgeführter Arbeiten und Nutzungen sowie von Aufwänden und Erträgen zur Sicherung der Dokumentation ökonomischer Bewirtschaftungskennzahlen. Es soll zusätzlich langfristig auch möglich werden, Ökosystemleistungen der Referenzflächen zu erfassen und letztlich zu bewerten. Aus der Kenntnis der Waldentwicklung in den Referenzflächen können dann sowohl Empfehlungen für eine wirtschaftlich effiziente Waldbewirtschaftung entwickelt, als auch die relevanten Einflussgrößen für die Erhaltung der Biodiversität identifiziert und bestmögliche Maßnahmen abgeleitet werden.

 

Teil eines europäischen Netzwerk

Die Referenzflächen sind eng abgestimmt mit der Methodik der Association Futaie ­Irrégulière A.F.I. (Susse, R. et al. 2010), die seit mehr als 25 Jahren mit dem Ausgangspunkt in Frankreich ein solches Netzwerk an Referenzflächen eingerichtet hat und laufend aktualisiert. Inzwischen sind fast 150 Referenzflächen in Frankreich, UK, Irland, Benelux, Deutschland und nun auch Österreich nach vergleichbarer Methodik aufgenommen. Bei den ältesten Flächen liegen inzwischen bereits vier Aufnahmen vor, die echte Langzeitvergleiche möglich machen.

 

Erste Ergebnisse

Alle Referenzflächen weisen eine individuelle Bestandesgeschichte auf, die zu einer veränderten Vegetation und Bestandesstruktur geführt hat. Die meisten dieser Flächen befinden sich am Beginn oder in fortgeschrittenem Stadium der Überführung, sodass sich bereits ein Baumartenwechsel hin zur potenziellen natürlichen Waldgesellschaft abzeichnet. Die aus gleichförmigen Altersklassenwäldern hervorgegangene Oberschicht wird zunehmend durch die in die Unterschicht und Mittelschicht einwachsende Naturverjüngung unterwachsen. In weiter fortgeschrittenen Stadien nähert sich die Stammzahlverteilung bereits einer Plenterstruktur. Pionier- und Lichtbaumarten nehmen in Verjüngung und Unterschicht im Vergleich zum Altbestand deutlich ab. Ein höherer Anteil an Lichtbaumarten im Altbestand ist meist auf die Herkunft aus dem früheren Kahlschlagbetrieb zurückzuführen. Hingegen werden die Lichtbaumarten in der Verjüngung durch schattentolerante Baumarten ersetzt. Um auch klimatisch bedingte Änderungen der Artenzusammensetzung der Waldgesellschaften verfolgen zu können, wurden alle Referenzflächen vegetationskundlich erhoben und kartiert.

Trotz des Bekenntnisses zu einem naturnahen Waldbau zeigen die Erhebungen geringere Totholzvorräte, als die Österreichischer Waldinventur (ÖWI) durchschnittlich für dieselben Waldgesellschaftsgruppen ausweist. Auch die Gegenüberstellung mit den Totholz vorräten in Naturwaldreservaten zeigt wesentlich geringere Vorräte, insbesondere an stehendem Totholz. Ebenso ergibt die Habitatbaumdichte je nach Eignung für Wirbellose und Pilze, Wirbeltiere und Sonderformen ein uneinheitliches Bild. Es zeichnet sich also die Notwendigkeit eines zusätzlichen Totholz- und Habitatbaumkonzeptes ab, um diese wichtigen Strukturelemente im Sinne einer umfassenden naturnahen Waldbewirtschaftung zu fördern und zu erhalten.

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ReSynat-Flächen in Österreich und ihre Totholzvorräte © BFW

Die Auszeige – das unberechenbarste Werkzeug im Waldbau

Dies ist nur eine wichtige Erkenntnis, die Waldbesitzer aus diesem Monitoring für ihren eigenen Wald ziehen und darauf aufbauend Strategien für die Bestandesumwandlung und -weiterentwicklung entwerfen können. Dass dieser Katalog an Referenzflächen keine Blaupause darstellen kann, wird jedoch spätestens dann offensichtlich, wenn man sich genauer mit den Stellschrauben beschäftigt, die jeden Wald und dessen Entwicklungsdynamik einzigartig machen: Neben der Bestandesgeschichte ist insbesondere die Auszeigeroutine des zuständigen forstlichen Personals objektiv schwer zu erfassen und auszuwerten. Daher wurden im Rahmen des Projektes ReSynatWald 2.0 – Integrate Austria auch drei sogenannte Marteloskopflächen im Lehrforst des Waldcampus Traunkirchen eingerichtet, die im Rahmen der Sommerpraxistage erstmalig vorgestellt und genutzt wurden (siehe auch Wald und Wissen - alles wächst).

Ein Bestand, 25 forstliche Fachpersonen und Interessierte, 7 Teams, 1 Aufgabenstellung: „Entnehmen Sie 10 bis 15% des stockenden Vorrats, um diesen Bestand in einen strukturreichen, mehrschichtigen Wald überzuführen …“. Während eine Gruppe gleich die doppelte Menge „erntete“, entnahm ein anderes Team rund die Hälfte zu wenig. Ein weiteres Team erreichte zwar die geforderte Menge, zerstörte dabei allerdings 10% des Habitatwertes, während andere diesen Verlust bei gleicher Entnahmemenge und ökonomischem Gewinn minimal halten konnten. Diese gravierend unterschiedlichen Ergebnisse und deren Auswirkungen auf das Bestandesgefüge bereits auf kleiner Fläche (0,25 ha) zeigen deutlich, wie wichtig ein geschultes Auge für die naturnahe Entwicklung eines Waldes ist. Die anschließende Diskussion verdeutlicht unterschiedliche Standpunkte und hilft den Teilnehmenden, voneinander zu lernen und den eigenen Blick auf den Wald und seine Bewirtschaftung zu schärfen.

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Auszeigeübung auf der ReSynat-Fläche Tamegger Wald © E. Senitza

Viele Wege führen zum Ziel

„Der Beruf des Forstmannes ist halb Wissenschaft und halb Kunst und nur die Ausübung macht hierbei den Meister“, schrieb Alfred Möller. Die Kombination von Altbewährtem und Neuentdecktem ist integraler Bestandteil des Projektes. Unterschiedliche Erfahrungswerte und Praxisbeispiele auf der einen Seite und innovative Schulungsmethoden in Form der Marteloskope auf der anderen schaffen einen wertvollen Wissenspool, der beständig aktualisiert und erweitert wird. Mit zunehmender Dauer gewinnen die Referenzflächen einen immer höheren wissenschaftlichen Wert, auf dessen Grundlage Erkenntnisse für alle Waldbesitzer und Entscheidungsträger abgeleitet werden können. 

 

Literatur: 
Möller A. (1922): Der Dauerwaldgedanke – sein Sinn und seine Bedeutung. Neu aufgelegt 2021, Verlag Kessel.
Susse, R. et al. (2010): Management of Irregular Forests. Developing the Full Potential of the Forest. Association Futaie Irrégulière A.F.I.