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V. li.: Rudolf Freidhager (ÖBf), Hanna Simons (WWF), Christoph Matulla (ZAMG), Gerald Plattner (ÖBf), Karin Astelbauer-Unger (Natur.Raum.Management-Journal) und Robert Spannlang (Forstzeitung) diskutierten Zukunftsfragen der Forstwirtschaft. © ÖBf

Österreich

Quo vadis, Forstwirtschaft?

Ein Artikel von Robert Spannlang (ungekürzte Wiedergabe) | 12.05.2020 - 14:41

Was kommt auf die österreichischen WaldbewirtschafterInnen in puncto Klimawandel zu? Auf welche Veränderungen müssen sie sich einstellen?

Klimaforscher Dr. Christoph Matulla, Teamleiter Klimafolgen, Abteilung Klimaforschung, ZAMG: Ganz allgemein gesagt: Was wir wissen, ist alles, was mit thermischen Größen zusammenhängt, also mit Temperatur, Tropennächte, Hitzetage, Sommertage, Mittelwerttemperatur, Niederschlag usw. Es wird so sein, dass in Österreich die Temperatur zunehmen wird. Das hängt davon ab, ob wir das Paris-Ziel mit unter 2 °C erreichen.

Mag.a Hanna Simons, stellvertretende Geschäftsführerin und Leiterin der Naturschutzabteilung des WWF: Nach Möglichkeit 1,5 °C.

Matulla: Es ist ganz wichtig, dass wir über den globalen Durchschnitt reden. In Österreich haben wir ohnehin schon 2 °C überschritten. Das hängt sehr viel damit zusammen, dass Österreich zum Teil von Gletschern und Schnee bedeckt ist. Das heißt, die solare Strahlung kommt direkt durch die Atmosphäre durch und wird reflektiert, bei Firn zu 90%. Das heißt, wenig Energie bleibt da. Aber wenn etwas wegschmilzt, kommt dort Stein oder Erde hervor und die absorbiert viel mehr Energie und erwärmt das System effizienter. Wenn wir also sehr viele Schneeflächen haben und diese stark zurückgehen, was wir ja bereits sehen, ... Ich würde Ihnen nicht empfehlen, in Schitourismusresorts zu investieren unter 1200m, in Wirklichkeit nicht unter 2000m. Das wird aufhören. Dafür werden wir im Tourismus wahrscheinlich davon profitieren können, dass es im Mittelmeerraum sehr trocken und sehr heiß werden wird. Orte wie Caorle oder Rimini werden nicht mehr sehr attraktiv sein, weil der Erholungswert nicht so groß ist. Wir haben dagegen die Alpen, und wenn man hundert Meter in die Höhe geht, nimmt die Temperatur um etwa 0,5 bis 0,7 °C ab. Da ist der Erholungswert größer.

Was bedeutet das nun für die WaldbewirtschafterInnen?

Matulla: Es wird im Sommer trockener. Obwohl im Jahresdurchschnitt die Niederschlagsmenge etwa gleich bleiben wird. Wir haben ja im Sommer das Niederschlagsmaximum. Der Durchschnitt im Jahresmittel wird gleich bleiben. Im Sommer wird weniger Niederschlag fallen, im Winter mehr, allerdings nicht als Schnee, sondern als Regen. Die Fichte, ein Flachwurzler, der anfällig ist gegen Sturm und den Borkenkäfer, leidet. Die Expansion und die Verlängerung der Vegetationsperiode , die an sich Anlass zu Jubel geben können, weil das Schneeglöckerl jetzt 14 Tage früher als vor 30 Jahren blüht und die Herbstphasen etwas später eintreten, bedeutet leider auch, dass der Borkenkäfer vielleicht eine weitere Generation reinkriegt. Beim Traubenwickler, das haben wir uns angeschaut, schaut es so aus. Er geht auf Obst und Wein. Das heißt, die Fichte wird es unter 1000 Metern schwer haben.

Simons: Ich schätze die Forstwirte, weil sie - ganz anders als die jungen Menschen in der Mode in Saisonen - in Dekaden denken und sich jetzt schon Gedanken machen, was können meine Enkelkinder ernten. Was hat dann noch Bestand, was wird dann noch wachsen.

DI Dr. Rudolf Freidhager, Vorstand für Forstwirtschaft und Naturschutz der ÖBf: Da muss ich immer dazu sagen, von welchem Temperaturanstieg ich bei meinen Szenarien ausgehe. Unser Szenarium, mit dem wir den Wald der Zukunft berechnet haben, basiert auf maximal plus 2 °C im globalen Durchschnitt, wie im Pariser Abkommen festgelegt.

Matulla: Da sind Sie sehr optimistisch ...

Freidhager: Im Prinzip geht es darum, dass wir hoffen, dass die Ziele des Pariser Abkommens erreicht werden. Das war unsere Arbeitshypothese.

Matulla: Wenn Paris erreicht wird, heißt es global 2 °C plus.

Und wie viel bedeutet es für Österreich? 4 °C?

Matulla: Nicht 4, aber sicher 3,5 °C. In Österreich heizt es sich schneller auf, weil wir die Gletscher verlieren. Am Ende des Jahrhunderts wird es kaum mehr Gletscher geben oder in Österreich keine mehr geben. Da wird die Erwärmung stärker durchschlagend sein. In den höheren Breiten und über den Kontinenten ist die Erwärmung stärker als über den Ozeanen und in der tropischen Area. Das bedeutet aber auch, dass der Temperaturgradient zwischen den Polen und dem Äquator abnehmen wird. Das könnte bedeuten: weniger Stürme. Das hilft uns leider auch nicht, weil im Winter, wenn wir an Plus-Energie-Quartiere denken, ernten wir vor allem den Wind und nicht die Sonne. Es ist eine problematische Situation.

Wenn man ein österreichischer Waldbewirtschafter ist, muss man also von dem Szenarium 3,5 °C  plus ausgehen. Wie schaut es dann mit dem Niederschlag aus?

Matulla: In Summe wird weniger Niederschlag fallen. Flachwurzler sind ungeeignet. Die Fichte ist ja nicht normal ... das ist der Brotbaum der Forstwirtschaft.

Freidhager: Es gibt Gegenden, da ist die Fichte normal.

Matulla: Ja, ab 700 bis 1000 Metern. Aber im Waldviertel?

Erwartet man für die (hoch)alpinen Lagen auch weniger Niederschlag im Sommer?

Matulla: Ja! Die Fichte braucht, man spricht in der Waldwirtschaft von dieser Klimahülle. Wir gehen davon aus, dass wir einen Jahresdurchschnittsniederschlag und eine Jahresdurchschnittstemperatur haben. Und dann machen wir einen Kreis, und dann sagen wir, hier lebt die Fichte. Die Fichte kann sich sicher über 1000 Metern halten, weil genug Niederschlag fällt. Wir haben ja glücklicherweise die Alpen. Da regnet die aufsteigende Luft die feuchte Luft aus. Es wird genug Niederschlag da sein.

Freidhager: Aber die Frage ist, das ist die berühmte Unsicherheit bei Durchschnittswerten. Es gibt den berühmten Vergleich: Eine Hand habe ich im Ofen und eine im Tiefkühlschrank. Im Schnitt bin ich bei 5 Grad, aber leider bin ich tot, weil ja die Verteilung eine Riesenrolle spielt. Wenn ich im Sommer Starkniederschläge habe und der Niederschlag auf ausgetrockneten Boden fällt und 80 Prozent fließen oberflächlich ab, weil der Boden das ja gar nicht aufnehmen kann, dann habe ich das Match verloren. Zwar statistisch gesehen übers Jahr 800 Millimeter Niederschlag, aber für die Pflanze verfügbar sind nur 400 Millimeter.

Matulla: Absolut richtig! Im Burgenland, in der Ostregion, das ist die Region Österreichs mit dem geringsten Niederschlag, also mit 500 bis 600 Millimetern. Und da muss man schauen, und das machen auch die Leute, dass man den Humus auf den Böden anreichert, damit der Niederschlag, der nicht mehr in vielen Ereignissen fallen wird, sondern in weniger Ereignissen, die dafür heftiger sind. Wenn ich da keinen Boden habe, der die Möglichkeit hat, das aufzunehmen, dann gibt es Probleme.

Freidhager: Es gibt keinen klassischen Landregen mehr, wo es eine Woche lang so gemütlich dahin regnet. Dann hört er ein paar Stunden auf, dann fängt er wieder an.

Matulla: Dieser Trend scheint sich fortzusetzen. Wir kriegen die gleiche Summe, aber in heftigeren und „wenigeren“ Events. Das fordert den Boden heraus. Der Boden ist ein wichtiger Speicher, nicht nur für CO2, sondern auch für Wasser, Feinstaub usw.

Gletscher sind auch Wasserspeicher. Wird sich das auch auf die Wälder auswirken, wenn die Gletscher einmal weg sind?

Matulla: Wir sprechen von der Gletscherspende im Sommer, dass also die Gewässer versorgt werden mit geschmolzenem Schnee und Eis. Das wird sicher einen Einfluss haben. Aber ganz so groß sind die Gebiete in Österreich nicht, die von der Gletscherschmelze abhängig sind.Gerade in der Waldwirtschaft. Das würde ich nicht hochprioritär bewerten.

Simons: Für die Gewässer ist es ein Thema. Der Gletscherschwund wirkt sich auf den Zustand der Gewässer und auf die Gewässerökologie aus, auf die Alpenflüsse und Alpenbäche, aber für den Wald entscheidender, glaube ich auch, sind Dinge wie Niederschlag und Temperatur.

Matulla: Aber so viele Flüsse sind es dann auch wieder nicht.

Simons: Die Gewässer sind stark unter Druck! Denken wir an die Verbauungen, Wasserentnahmen und Kraftwerke. Nun kommt das fehlende Gletscherwasser dazu und all das hat natürlich Auswirkungen.

Freidhager: Aber es geht doch immer um eine vernünftige Verteilung über das Jahr. Und der Gletscher ist ein Garant, dass die Flüsse auch im Sommer genug Wasser haben, weil oben die Schneeschmelze ist. Das spielt dann wieder eine Riesenrolle für die Fischbestände. Wenn man sich heute im Sommer die Mürz oder die Traun anschaut, sind das ja zum Teil Bächlein, was natürlich eine enorme Auswirkung hat: Die Temperatur im Gewässer steigt an, dann kommen verschiedene Fischarten wie die Bachforelle unter Druck. Und da geht es noch gar nicht darum, ob ich jetzt in Summe mehr oder weniger Niederschlag habe, sondern wie ist die Verteilung. Natürlich, wenn sich die Gletscher nicht mehr bilden können, im Sommer schmelzen sie ab und über den Winter regenerieren sie sich wieder.

Matulla: Das ist aber der Punkt. Wenn ich im Winter mehr Wasser bekomme. Es ist ja nicht so, dass der Gletscher nur von der Temperatur abhängig ist. Es ist beides: Niederschlag und Temperatur. Wenn ich also im Winter auf 2000 Metern Niederschlag bekomme, wird er in Schnee ausfallen.

Freidhager: ... Zum Thema Klimawandel habe ich nur eine Frage, für mich ist das die Urfrage: Ist es wissenschaftlich gesichert, dass Kohlenstoff-Atome in der Atmosphäre über das CO2 eingebracht, den Effekt haben, dass mehr Strahlung rein kann,  als wieder rauskommt?

Matulla: Wie viel Strahlung reinkommt, hängt wovon ab? Von der Sonne. Und die können wir nicht beeinflussen. Man spricht von der Solarkonstanten.

Freidhager: Welchen Effekt hat dann das CO2 in der Atmosphäre?

Matulla: Das hängt davon ab, wie viel rausgelassen wird. Wenn zum Beispiel auf eine Schneefläche solare Strahlung (= kurzwellig). Die Temperatur auf der Oberfläche der Sonne ist etwa 6000 Kelvin. Wenn die solare Strahlung hereinkommt und durch die Atmosphäre reflektiert wird, dann passiert nichts. Die kurzwellige Strahlung kommt durch. Aber wenn sie die Erdoberfläche erwärmt, geht keine kurzwellige Strahlung weg, sondern eine langwellige. Diese langwellige Strahlung wird durch dreiatomige Moleküle aufgefangen. Decken Sie sich mit zwei Decken zu, es wird wärmer!

Freidhager: Ich will ja darauf hinaus, dass wir darüber in der Menschheit endlich einen Konsens kriegen.

Matulla: Das ist aber schon klar, oder?!

Freidhager: Fragen Sie doch den Herrn Trump, der leider der Präsident der USA ist, die ja kein kleines Land sind. Der brasilianische Präsident Bolsonaro ist ja ein ähnlicher Geisterreiter.

Simons: In Österreich sind ja die Klimaskeptiker nicht mehr in der Regierung. Jetzt gibt es einen Konsens. Die Frage ist nur, ob die richtigen Schlüsse daraus gezogen werden und vor allem schnell genug. Das ist meine Sorge.

Freidhager: Wenn die eine Aussage, über die wir diskutieren, gesichert ist, ist es klipp und klar, dass die Menschheit der größte Verursacher ist und nicht weil die Sonne jetzt mehr strahlt. Wenn die Menschheit jeden Tag 85 Millionen Barrel Erdöl braucht, um die Welt am Laufen zu halten, wo soll das enden? Laut FACC (chinesisch-österreichischer Flugzeugkomponentenhersteller mit Firmensitz in Ried im Innkreis, Anm.) sind derzeit 21.000 Flugzeuge in der Luft, im Jahr 2040 werden es 40.000 sein. So die Prognose. Die Diskussion, ob der Mensch etwas damit zu tun hat, können wir abhaken. Das ist gesichert.

Matulla: Absolut!

Freidhager: Ja, aber wissen Sie, wie viele Leute es gibt, die sagen: „Ach Gott, das hat es ja schon immer gegeben. Es hat Eiszeiten und Wärmezeiten gegeben ...“

Matulla: Ich höre das auch so oft in Diskussionen. Wenn wir über die Menschheit sprechen, dann reden wir von einem Zeitraum ... Was hat die Menschheit bis jetzt erlebt? Der Temperaturunterschied zwischen Eiszeiten und Warmzeiten beträgt global 10 °C. Oft wird gesagt, 2 °C, das ist doch egal, da gehe ich früher baden. Nein! 2 °C global gesehen ist ein Fünftel des Weges zwischen den beiden Extrempositionen, die unser Planet für den Homo sapiens kennt. ... Das ist nicht ein Bisschen, sondern extrem viel.

Freidhager: In einer Diskussion wurde einmal gesagt: „Wegen ein, zwei Grad regt man sich so auf. Dann hat es im Sommer statt 28 halt 30 °C, das ist doch völlig egal.“ Meine Frage an diese Person war dann: „Was ist unsere Körpertemperatur? 37 °C? Okay, dann tun wir zwei Grad dazu. Was ist dann? Wie nennt man das dann? Und wenn man vier Grad dazutut? Dann können wir ein Kreuz machen.“

Simons: Vielen mag es noch nicht bewusst sein, obwohl es Tatsache ist: Der große Unterschied zu klimatischen Veränderungen, die es schon immer gegeben hat, ist „die große Beschleunigung – the great acceleration“ mit der wir es seit den 1960er-, seit den 1970er-Jahren zu tun haben. Es haben sich die Naturinanspruchnahme, die Emissionen, die intensive Nutzung, die Weltbevölkerung, der Flächenverbrauch, die Förderung und Nutzung fossiler Rohstoffe in den letzten fünf, sechs Jahrzehnten in einem noch nie dagewesenen Ausmaß beschleunigt. Und damit auch der Anstieg der globalen Temperatur. Wir haben das in dieser großen Geschwindigkeit noch nicht gesehen.

Matulla: Der Punkt ist der: Das Wirtschaftswachstum nach dem Zweiten Weltkrieg ist einhergegangen mit einer sehr schmutzigen Industrie, die sehr viele Partikel ausgestoßen hat, wie Vulkane. Und die reflektieren das reinkommende Sonnenlicht. Das heißt, am Anfang, von 1950 bis 1980 sieht man eher eine abnehmende Temperatur, weil es so schmutzig war. Dann gab es die Diskussion über den sauren Regen. Damals geschah etwas sehr Positives: Man hat es international geschafft, Regelungen - Montreal-Protokoll, Genfer Konvention - durchzusetzen, dass die Reinhaltung der Luft gelingt. Ab dem Moment hat der durch den Menschen verursachte Treibhauseffekt, der ein Grad von 33 Grad ist. Der natürliche Treibhauseffekt ist 33 Grad. Ohne ihn hätten wir auf der Erde minus 18 °C. Mit ihm haben wir 15 °C und können daher auf der Erde leben. Wir packen aber jetzt immer mehr drauf. Und deswegen ist die globale Erwärmung 1980, 1985 ganz, ganz stark angestiegen. Dann gab es den Hiatus in den 2010er-Jahren, als es geheißen hat, es nimmt nicht noch mehr zu. Da haben die Klimaskeptiker gesagt, es ist vorbei. Ich würde auch nicht sagen, wenn man am Maximum ist, ist es vorbei. Da haben noch die Ozeane viel aufgenommen. Aber Wasser, das wärmer wird, kann weniger CO2 aufnehmen. Leider. Und jetzt steigt die Erwärmung wieder stark an.

DI Gerald Plattner, Leiter des Naturraummanagements der ÖBf: Das ist eben die Schwierigkeit, das bekannt zu machen. Die Auswirkungen betreffen jetzt alle. Mit Maßnahmen zur Luftreinigung und Schadstoffreduzierung konnte man das damals erreichen. Damit war auch die Entwicklung einer Umweltindustrie möglich, aber jetzt ist es global. Es sind jetzt viel mehr Faktoren. Ich kann es nicht nur auf den Schornstein zurückführen. Jetzt muss ich meine Lebensweise ändern. Wir müssen den Weg in eine CO2-neutrale, bessere Gesellschaft schaffen.

Freidhager: Der Kaffee am Wochenende in London geht sich dann nicht mehr aus.

Simons: Das große Problem ist, dass im Moment Wohlstand und Wirtschaftswachstum immer noch an die Verbrennung fossiler Brennstoffe gekoppelt sind. Die Entkoppelung muss gelingen. Das ist nicht nur das Freizeitverhalten, das ist auch die Wirtschaftsweise. Die entscheidende Frage ist, wie wir diese Veränderung in möglichst kurzer Zeit, in wenigen Jahrzehnten, schaffen. Österreich hat sich das ambitionierte Ziel gesetzt es bis 2040 erreichen. Sich auf das Ziel vorzunehmen, reicht jedoch nicht. Wir müssen endlich mit der Umsetzung anfangen.

Matulla: Das Ziel müsste vor 2050 erreicht sein. Das Verhalten muss sich ändern. Als ich in der Schule war, war ich vor Prüfungen immer recht relaxt. Erst drei Wochen davor habe ich dann voll zu lernen begonnen. Aber das funktioniert beim CO2 nicht. Wie lange haben wir das CO2 in etwa in der Atmosphäre? 120 Jahr würde ich sagen. Und der Punkt ist: Wir müssten an sich als Weltgemeinschaft handeln, vor 2050 den Peak haben und dann runterzugehen. Selbst Paris geht sich nicht aus, wenn wir nicht negativ emittieren ab 2070, würde ich sagen.

Simons: Die entscheidende Rolle spielt die Umsetzung. Bisher wird immer nur darüber diskutiert, dass wir die Emissionen reduzieren wollen und müssen.

Matulla: Aber das heißt nicht, wir könnten so weitermachen bis zum Schluss und erst 2080 strengen wir uns an. Das geht nicht!

Freidhager: Um auf den Wald zurückzukommen: Wir sind uns ja einig darüber, dass der Mensch bei dieser Klimaerwärmung eine Rolle spielt. Für mich ist die Frage: Wie viel Erdöl, Erdgas, Kohle lassen wir in der Erde, das wird die Challenge werden und was bedeutet das für den Wald. Die ÖBf hatten klimabedingte Schäden im Jahr 2017 von rund 15 Mio. €, im Jahr 2018 waren es 24 Mio. € und letztes Jahr waren es 41 Mio. €. Warum? Wir hatten im letzten Jahr noch vom Jahr 2018 Windwürfe liegen, die wir noch aufarbeiten mussten, so 150.000 bis 180.000 fm. In Summe hatten wir 2019 Windwurf um die 350.000 fm. Dann gab es die großen Schneemengen Ende Jänner 2019, da hatten wir einen Schaden von 700.000 fm, speziell in den nördlichen Staulagen, vom Tennengebirge bis zum Attersee-Mondsee-Gebiet. Da sind bis zu fünf Meter Schnee gelegen. Das sind Extreme. Und dann haben wir  Bilder vom Waldviertel, wo uns der Borkenkäfer die Fichten schneller frisst, als wir mit dem Harvester wegschneiden können. Schadholz durch Borkenkäfer  hatten wir in Summe um die 250.000 fm, aber alleine 120.000 aus dem Waldviertel. Das sind ja bei 510.000 ha Wald, die wir bei den ÖBf haben, nur 15.000 ha. Wir sind eigentlich nicht mehr in der Lage, eine geordnete Waldbewirtschaftung zu machen. Dass man sagt, man geht rechtzeitig in die Durchforstung und schaut, dass die Bestände sturmresistenter werden usw.  Weil eine Erkenntnis haben wir schon: Für die Natur ist unsere Schadholzmenge völlig egal, aber für uns Menschen ist es nicht egal. Die Natur kennt auch keinen Schutzwald. Wen soll die Natur schützen? Der Schutzwald ist ein Interesse des Menschen am Wald. Wenn zum Beispiel in einem Tiroler Tal eine Lawine abgeht, die den ganzen Wald zerstört und das halbe Tal zuschüttet, ist das ein Problem der dort lebenden Menschen, aber kein Problem für die Natur.

Simons: Aus menschlicher Sicht sind Lawinen, Windwürfe oder auch die Borkenkäferkalamitäten Katastrophen. Für die biologische Vielfalt ist es jedoch genau anders herum! Es gibt Studien, die zeigen, dass im Vergleich zum dichten, geschlossenen Wald doppelt so viele Arten auf Windwurfflächen zu finden sind. Man muss sich vorstellen, das Vorkommen von rund 140 Arten der Bergmischwälder steht in indirekter Verbindung zum Wirken des Buchdruckers.

Freidhager: Ich sage ja immer, der Begriff Naturschutz ist doch in Wahrheit Menschenschutz. Die Natur braucht man nicht schützen.

Simons: Ich sage das auch immer: Wir retten nicht den Planeten, weil den Planeten hat es auch nach dem Aussterben der Dinosaurier immer noch gegeben. Wir retten uns als Spezies. Wir retten mit dem, was wir jetzt tun nicht den Planeten. Den Planeten wird es auch noch geben, wenn es die Menschheit nicht mehr gibt.

Matulla: Ja Materie wird es immer geben und Energie auch.

Simons: Ich möchte gerne hier einhaken: Das hier ist aus dem „Living Planet Report“ des WWF, der alle zwei Jahre herauskommt, wo man sieht, dass hier sind die Ökosystemleistungen für den Menschen. Wir unterteilen in die vier Kategorien „Bereitstellende Dienstleistungen“, „Regulierende Dienstleistungen“, „Unterstützende Dienstleistungen“ und „Kulturelle Dienstleistungen“. Da geht es um die Dienstleistungen, die das Ökosystem für den Menschen erbringt, nicht für sich selbst. Hier wird dargestellt, was braucht der Mensch. Warum brauchen wir intakte Ökosysteme? Weil wir auf diese Dienstleistungen angewiesen sind. Das Problem ist, was man da auch sieht: Je mehr diese „Bereitstellenden Dienstleistungen“ hinaufgehen, je mehr wir also den Ökosystemen entnehmen, umso stärker gehen die anderen Ökosystemleistungen zurück, wie zum Beispiel der Erholungswert oder auch Photosynthese, Bodengesundheit, auch ästhetische Werte, die wir von der Natur in Anspruch nehmen. Das gefällt uns ja auch. Tourismus. Oder Schutz vor Naturgefahren, Schutzwälder, ... je intensiver ich diese Ökosystemleistungen in Anspruch nehme, in dem ich sie nutze, umso stärker gehen sie in den anderen Bereichen zurück. Und was wir einfach brauchen, ist das in einem guten, ausgewogenen Verhältnis ...

Matulla: Haben Sie ausgewertet, wie sich das in den letzten Jahren entwickelt hat? Wie sich diese vier Sektoren verändert haben?

Simons: Ja, den „Living Planet Report“ gibt es schon seit vielen Jahren.

Matulla: Ich nehme an, dass wir immer mehr entnehmen. Wir verbrauchen derzeit 2,5 Planeten.

Simons: Wenn alle so konsumieren wie wir Österreicher, brauchen wir 4,8 Planeten. Auf dieser Grafik sieht man so schön ... wenn wir uns zum Beispiel die Wälder anschauen: In jeder dieser einzelnen Kategorien kann ich sofort sagen als Mensch, was bringt mir der Wald in dieser Kategorie. Die water Regulation, die climate Regulation, spiritual, religious values. Die Leute gehen in den Wald, um sich auch spirituell etwas daraus zu holen. Recreation, tourism, moderation of extrem events. Das ist alles, wo ich am beispiel Wald so schön zeigen kann, wie wichtig es einfach ist, jetzt nicht nur um die waldgebundenen Arten zu schützen, sondern auch um uns selbst zu schützen, dass wir da jetzt wirklich in die Gänge kommen und auch verstehen, dass es einen Zusammenhang zwischen der Klimakrise und der Biodiversitätskrise gibt und dass diese beiden Krisen gemeinsam gelöst werden müssen. Das ist ganz, ganz wichtige, und das ist für den WWF natürlich das Allerwichtigste. Wir brauchen den Wald, um in der Klimawandelanpassung, auch in der Bekämpfung des Klimawandels, aber das muss auf jeden Fall Hand in Hand gehen auch mit der Bekämpfung der Biodiversitätskrise. Da ist der Wald ganz entscheidend.

Freidhager: Sie haben jetzt zwei Begriffe immer synonym verwendet, die aber nicht synonym sind. Nämlich Ökosystemleistung und Ökosystemdienstleistung. Das sind zwei Paar Schuhe. Dienstleistungen können nur Menschen erbringen. Wir sprechen jetzt über das Ökosystem Wald. Und dieses Ökosystem Wald erbringt Ökosystemleistungen, in dem Bäume dort draufstehen usw. und so fort. In Wahrheit stehen diese Ökosystemleistungen für Interessen von uns Menschen am Wald. Menschen in den Gebirgstälern - das ist ein Paradebeispiel - erwarten vom Wald Schutz vor Naturgefahren. Das heißt: Das Ökosystem heißt Wald, die Ökosystemleistung ist der Schutz vor Naturgefahren. Jetzt haben wir das Problem, dass die Natur von sich aus niemand schützen will. Da gibt es Schutzwälder in in den Alpen, die sind von Natur aus Fichtenreinbestände, inneralpiner Fichtenwald, das ist dort die natürliche Waldgesellschaft. Die Standorte sind sehr gut, es regnet genug, die Fichten wachsen wie die Haare am Hund - von Natur aus. Es entstehen vorratsreiche, standzahlreiche Bestände, die massiv windwurfgefährdet sind usw. Aber für die Natur ist das völlig egal, aber für die Menschen nicht. Weil Menschen im Tal  ihre  Häuser haben oder die Eisenbahn fährt unten vorbei, müssen wirdafür sorgen, dass dieser Wald, der von Natur aus großflächig zusammenbrechen kann, das nicht tut. Und deswegen müssen wir jetzt, um diese Ökosystemleistung „Schutz vor Naturgefahren“ in der menschengerechten Qualität sicher zu stellen, eine Ökosystemdienstleistung erbringen.  Was ist das jetzt zum Beispiel gemünzt auf den Schutzwald? Wir müssen diese Fichtenreinbestände mit Lärche und oder  mit Tanne anreichern, nach oben hin mit Zirbe , wenn wir in den subalpinen Bereich kommen. Wir müssen durchforsten, damit die Bestände größere Kronen kriegen, abholziger und  stabiler werden und und und. Wir müssen Bäume querschlägern, entrinden, damit der Schneeschub die Aufforstungen nicht gefährdet. Wir müssen vor allem die Jagd endlich einmal in den Griff bekommen, damit dort sich natürliche Verjüngung einstellen kann. Was will ich damit sagen? Wir müssen genau in der Kaskade „Ökosystem – Ökosystemleistung – Ökosystemdienstleistung“ denken, weil dann werden zwei Dinge auch ganz klar sichtbar: Die Natur braucht uns nicht, aber wir brauchen die Natur. Das ist der erste Teil. Die Natur wird uns Ökosystemleistungen in der Form und Qualität, wie es wir zum Überleben im hochalpinen Raum brauchen, nur dann zur Verfügung stellen, wenn wir in das Ökosystem fachgerecht, richtig eingreifen und es dorthin steuern, damit meine Interessen befriedigt werden. Und jetzt kann ich dort natürlich nicht Palmen hinsetzen oder irgendetwas. Jetzt muss ich mich umschauen und fragen: Was sind Bäume, die für diese Region passen, die es vielleicht ohnehin früher einmal gegeben hat. Und dann komme ich halt sehr schnell einmal zur Tanne, die man bis weit über mehr als 1000 m Seehöhe haben kann, es ist zum Beispiel die Lärche, der Ahorn. Und das müssen wir Menschen sicher stellen.. Die Natur kümmert sich nicht um uns. Die Natur hat keinen Selbstzweck. Vor x Millionen Jahren hat ein Meteorit eingeschlagen, der 90% allen Lebens ausgelöscht hat, einschließlich der Dinosaurier, dann war halt viele Millionen Jahre  nichts Großartiges da. Die Natur denkt ja auch nicht in Zeiten. Wir müssen einmal kapieren: Die Natur ist  durch die Evolution entstanden, und jetzt taucht der Homo sapiens auf und beginnt, sich nicht naturkonform zu verhalten, und in 200 Jahren das ganze Erdöl zu verheizen, das sich über Millionen Jahre gebildet hat. Und jetzt müssen wir einmal daran denken, jetzt dämmert es uns schön langsam, wenn wir so weitermachen, wird uns die Natur ausspucken, die Evolution wird sagen: Lieber Homo sapiens, du hast dich leider nicht bewährt, du hast es nicht kapiert.

Simons: Es ist vielleicht auch eine Unschärfe, weil die Leute den Begriff Dienstleistung besser verstehen und sie wissen, dass es ein Dienst an der Menschheit ist. Zum Punkt Schutzwald: Eins vielleicht noch, was wir manchmal vergessen. Der Grund, warum wir, warum wir den Schutz vor Naturgefahren sicherstellen müssen, ist ja auch eine ungesteuerte Siedlungsentwicklung in den letzten Jahrzehnten zum Beispiel. Wir müssen uns bewusst sein, überall dort, wo wir eine neue Siedlung hinbauen, zieht das eben solche Dinge wie Wildbach- und Lawinenverbauung, Schutzwälder etc. nach sich. In Zukunft würden wir vom WWF uns wünschen, dass man schaut, dass man solche fehlgeleiteten ungesteuerten Siedlungsentwicklungen minimiert, um solche Folgeeffekte, wo ich dann einfach in die Natur eingreifen muss, um den Menschen zu schützen.

Freidhager: Das unterschreibe ich groß mit grüner Tinte!

Matulla: Das gibt’s glücklicherweise zum Teil schon ... Es gibt Leute, die sich über Nachhaltigkeit Gedanken machen, auch über die Gefahrentwicklung, die mit dem Klimawandel einhergeht. Das größte Schutzprojekt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg war entlang der Donau zwischen Mauthausen und in St. Nikolai im Marchland. Die Ufergebiete werden oft überschwemmt. Und da gibt es verschiedene Optionen, wie man die Bevölkerung schützen kann. Das sind Bauwerke, die für 80 bis 100 Jahre Bestand haben sollen. Da muss man schauen, wie das in 80 Jahren aussieht. Oder erhöhen wir weiter die Generationsschuld, die wir unseren Kindern und Kindeskindern aufbürden? Wenn sich die Natur so verändert in ihrer Bedrohung, dass die Schutzbauwerke nicht mehr ausreichen in vierzig Jahren, dann müssen sie die Kinder nochmal wegräumen.

Simons: Sie brauchen für solche Dinge sogenannte Nature-based solutions, nicht mit noch mehr Beton und Infrastruktur antworten, sondern mit einem Rückbau der Infrastruktur. Die Natur kann das auch regeln, wenn man sie lässt. Und wir lassen sie aber nicht mehr, wir haben es verlernt. Vielleicht noch zum Thema Infrastruktur ... 75% aller grauer Infrastruktur (zur grauen Infrastruktur zählen u. a. Straßen, Schienen, Kanäle und Hochspannungsleitungen sowie menschliche Siedlungen, Anm.), die es 2050 geben wird, ist noch nicht gebaut! Wir reden gerade darüber, wie man renaturieren kann, wie man mit naturbasierten Lösungen arbeiten kann, aber weltweit haben wir es mit einem Trend zu tun, der in eine ganz andere Richtung geht. Das ist erschreckend! Und ich glaube, wenn wir hier in Österreich zumindest auf dem kleinen Raum, den wir zur Verfügung haben, Dinge richtig machen können, dann müssen wir das auch unbedingt tun. Auch wenn es vielleicht von der Wirkung her global vernachlässigbar ist. Aber wir haben auch eine Vorbildwirkung, und deswegen bin ich auch froh, dass wir vom WWF mit den Bundesforsten zusammenarbeiten, weil man da wirklich gut darstellen kann, was auch in einem Wirtschaftswald alles möglich ist.

Plattner: Das ist ein wichtiger Punkt. Ihr seid Expertinnen und Experten für Naturschutz, Biodiversität, Klimafolgen etc. Hier entsteht eine Verbindung zur Wirtschaft, zu denjenigen, die es in der Hand haben, Weichenstellungen zu machen – nach nachvollziehbaren Kriterien. Das muss ja nachhaltig erfolgen. Es muss Geld verdient werden, weil Leute beschäftigt sind, damit gewisse Leistungen erbracht werden können. Es muss einerseits die Natur geschützt werden, andererseits sind Schutzleistungen der Wälder zu erhalten wie vorher ausgeführt. Und darum findet auch unsere heutige Diskussion statt. Und das ist gerade in Österreich sehr wichtig, wo Wald 50% der Fläche ausmacht. Da hat es schon eine große Bedeutung, wenn hier dieser gesamtheitliche Ansatz gewählt wird, den wir bei den ÖBf jedenfalls versuchen. Mein Job ist über Naturschutz und Biodiversitätssicherung zu reden, was verwandte Themen sind. Wir müssen jedenfalls über den Zaun hinausdenken, denn es gibt viele Einflussfaktoren. Österreich allein wird die Welt nicht retten, unmöglich, wenn hier nicht besser und grundsätzlicher und viel weitergedacht wird. Es können aber solche Aktivitäten durchaus eine Beispielswirkung haben, dass man sich diesen Themen nähert und versucht, sie zu reflektieren und entsprechend lösungsorientiert umzusetzen.

Inwiefern gibt es in Österreich und speziell in Österreichs Wäldern eine Biodiversitätskrise? Und was kann man dagegen tun?

Simons: Wir haben gemeinsam mit der BOKU den Living Planet Index auch für Österreich erhoben und haben festgestellt, dass in Österreich seit dem Beginn des Beobachtungszeitraums Anfang der 1980er-Jahren der Wirbeltierbestand um 70 Prozent zurückgegangen ist. Die Bestände, nicht die Artenvielfalt. Wenn es um die weltweiten Tierbestände in den Wäldern geht, haben wir seit 1970 eine Halbierung. Aus unserer Sicht gibt es leider keine ausreichende Datenlage zur Biodiversität in den Wäldern. da würden wir uns noch mehr wünschen. Aber allein die zwei genannten Zahlen sind schon aussagekräftig genug. Da reden wir noch gar nicht beispielsweise über die Insekten, die in diesen Untersuchungen gar nicht drinnen sind und für die die Schätzungen ganz dramatisch sind. Die Klima- und die Biodiversitätskrise hängen einfach eng zusammen. Und so Schlagworte, die uns leiten müssen bei den Maßnahmen, die wir dagegen setzen, sind Naturverträglichkeit und Ökologie. Das müssen die Leitsätze sein. Was kann man tun? Die letzten Natur- und Urwälder müssen geschützt werden und erhalten bleiben. Sie sind Hotspots der Artenvielfalt. Sie sind ganz wichtig als Kohlenstoffspeicher und -senke. Aber es reicht nicht, das, was wir haben, zu schützen. Österreich hat sehr viele Wälder, Wirtschaftswälder. Naturschutz darf nicht nur eine Nische sein. Naturschutz muss in die Masse gehen, in die Breite gehen. Wir brauchen Wirtschaftswälder, die mehr Naturnähe haben, die mehr Vielfalt haben. Und wenn ich von Vielfalt rede, rede ich auch von einer Vielfalt an Struktur und an Alter. Ich brauch eine umfassende naturnahe Forstwirtschaft, eine nachhaltige Forstwirtschaft, längere Umtriebszeiten, Biotopbäume, ich muss in den Wäldern Alt- und Totholz lassen und diese Inseln miteinander vernetzen. Da gibt es eine Vielzahl von Maßnahmen, einen Mix aus Strategien, den wir brauchen, um die Wälder in Österreich wieder reicher an Biodiversität zu machen. Man darf auch nicht vergessen: ... Es geht aber nicht nur um die Natur, es geht auch darum, dass diese Wälder in der Regel auch widerstandsfähiger sind gegen die Einflüsse, mit denen wir es zu tun haben: gegen Einflüsse durch den Klimawandel und die Folgen wie Borkenkäfer, Windwurf, Extremereignisse. Dann haben wir Menschen, die den Wald nutzen und brauchen, auch einen Nutzen davon, wenn wir dafür sorgen, dass die Wälder wieder lebendiger und vielfältiger werden.

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Das Gebäude der ÖBf-Unternehmensleitung © ÖBf

Haben Sie hier auch Kontakt zu anderen Waldbewirtschaftern als den Bundesforsten? Gibt es da auch schon ein Bewusstsein: “Hoppla wir müssen etwas tun?” – anstatt: “Das sind die Grünen, die uns wieder was aufdrängen wollen”?

Simons: Ja, wir haben mit anderen Waldbewirtschaftern auch Kontakt, auch im Rahmen von Projekten. Man merkt schon, dass es in den letzten Jahren immer spürbarer geworden ist – nicht nur in der Gesamtbevölkerung, sondern man merkt auch bei den Waldbewirtschaftern, dass das Bewusstsein dafür steigt, dass ist nicht mehr so weitergehen kann. Ich sehe aber schon die Gefahr, dass bei der Bewältigung der Klimakrise Fehler gemacht werden von jenen, die sich noch nicht so sehr damit beschäftigt haben. Etwa, dass man eine Baumart wieder nur durch eine andere ersetzt, weil man sie für geeignet hält. Ich hoffe, dass sich das Bewusstsein mehr und mehr durchsetzt, dass es einen Mix an Arten und Strategien braucht, um die Klimakrise zu bewältigen. Bei vielen ist das wirtschaftliche Denken nach wie vor im Vordergrund. Wie schon gesagt, haben wir es in der Forstwirtschaft mit so langen Zeiträumen zu tun, dass man nicht sagen kann: Wenn ich A durch B ersetze wird das auch am Markt in 80 oder 100 Jahren angenommen werden. Ich muss die Resilienz fördern und mich breit aufstellen, weil ich nicht weiß, um wie viel Grad die Erderwärmung wirklich zunehmen wird. Habe ich irgendwann einen Tipping Point erreicht, wo sich die Auswirkungen der Klimakrise rapide beschleunigen werden? Ein Beispiel: Es gibt immer noch Leute, die glauben, dass sich die Verkehrswende dadurch herbeiführen lässt, dass ich den Verbrennungs- einfach durch den Elektromotor ersetze. Es geht hier wie dort aber um Verhaltensänderung und um systemisches Denken.

Plattner: Bei dieser Diskussion über Umwelt und Wald habe ich oft den Eindruck, dass Geschäftsmodelle, die sich nicht als nachhaltig erwiesen haben, einfach auf den Wald übertragen werden – so nach der Devise: „Tun wir den Wald ein bissl schützen, und die Welt ist gerettet.“ Wir sind alle gefordert, unser Verhalten zu ändern. Es reicht eben nicht, Einzelmaßnahmen zu setzen, wie etwa ganze Wälder außer Nutzung zu stellen und dafür weiterhin weltweit täglich bis zu 200.000 Flugbewegungen in Kauf zu nehmen.

Freidhager: Dafür zahlst du dann pro Flugticket 10€ Umweltzuschlag, damit irgendwo auf der Welt ein Projekt gemacht wird. Dann kannst du dich am Freitag mit gutem Gewissen ins Flugzeug setzen und nach Madrid fliegen und am Sonntag wieder heim.

Plattner: Hier vielleicht noch ein paar Bemerkungen, weil das auf der Hand liegt: Es muss wirklich die Sicherung der Vielfalt im Zentrum der Aktivitäten stehen, damit wir schlussendlich mehr Resilienz erreichen. Deshalb haben wir uns gemeinsam mit dem WWF seit Langem viele Gedanken darüber gemacht, wie wir dieses Ziel zu erreichen. Wir arbeiten auch mit anderen NGOs zusammen, um zu erfahren, was sie fordern. Das kann manchmal einen Eigentumseingriff bedeuten, was aber manchmal eine überschießende Betrachtung ist. Die NGOs haben aber auch gute Vorschläge, weil sie einfach eine andere Sichtweise einbringen. Wir müssen zunehmend von einer Kombination aus Waldbewirtschaftung und Naturschutzmaßnahmen ausgehen. Und das muss man auf Betriebsebene so herunter brechen, dass es die Mitarbeiter verstehen, akzeptieren und auch umsetzen. In Summe hoffen wir, dass damit etwas Besseres erreicht wird. Das ist genau die Aufgabe, die das Naturraum-Management hat, nämlich Fakten aufzubereiten, Leute zu überzeugen und sie mitzunehmen. Mit einer Diskussion, die akademisch geführt wird und weit voraus reicht, erreichen wir nur wenige Zeitgenossen. Und für diese Übersetzung in Alltagssprache brauchen wir eben auch den WWF und seine strategische Unterstützung.

Freidhager: Wir diskutieren immer Maßnahmen. Aber manchmal fehlt mir ein wenig der strategische Überbau. Das, was ich an der Publizistik vor vielen Jahren gelernt habe, war die Frage: Wie sieht unser Ist-Zustand aus? Welche Ziele haben wir? Mit welchen Strategien wollen wir sie erreichen? Welche Maßnahmen setzen wir dazu? Und nicht umgekehrt! Das ist die richtige Reihenfolge! Ich brauche immer ein strategisches Gerüst, das dann aber sehr schnell sehr praktisch wird. Der Wald hat von Natur aus keine “Funktionen”. Er hat nur die Funktionen, die wir ihm als Menschen  mit unseren Interessen zuordnen. Unser täglicher Job bei den Bundesforsten ist es, Holz zu liefern, Jagd zu ermöglichen, Schutz vor Naturgefahren zu gewähren, Biodiversität zu erhalten ­– dahinter verbergen sich ja Nahrungsketten – Erholung zu ermöglichen. Und wir müssen diese vielfältigen Interessen irgendwie unter einen Hut bringen. Diese Interessenslagen verschieben sich permanent. Vor 20 Jahren hätten wir in diesem Zusammenhang an Biodiversität noch gar nicht gedacht. Und wir balancieren auf einem schmalen Steg, werden dabei von allen möglichen Interessensvertretern angesprochen und sollen dabei das Gleichgewicht der Interessen halten. Wie oft hören wir jetzt – das wird auch in Brüssel immer wieder diskutiert: „In Zeiten des Klimawandels muss der Mensch den Wald in Ruhe lassen. Stellt den Wald außer Nutzung”. Das ist doch eine Fiktion! Denn solange es Menschen auf dieser Welt gibt, werden sie Interessen am Wald haben, die wir mit unserer Bewirtschaftung sicherstellen müssen. Denn jedes dieser Interessen ist grundsätzlich legitim. Deshalb holen wir uns auch laufend Expertise über Biodiversität vom WWF ins Haus. Von der Maximalforderung von 150 fm Totholz/ha sind heute 30 fm Totholz/ha auf der Fläche, die wir aktiv anstreben – einfach weil das Faktum richtig ist, dass es auf der Fläche Totholz und auch Biotopbäume braucht. Und das alles ist ein Fortschritt! Wir dürfen einfach nicht die Schutzinteressen von Talbewohnern und den Anspruch auf Biodiversität gegeneinander ausspielen! Hier müssen wir hellhörig genug sein, um die sich ändernden Interessenslagen der Menschen am Wald mitzukriegen, und dazu brauchen wir auch den WWF.

Simons: So wie sie gesagt haben: Das ist ja kein Entweder-Oder, sondern es braucht ja beides: die Außer-Nutzung-Stellung und die Holznutzung. Die letzten Natur- oder Urwälder soll man erhalten. Man soll womöglich auch noch weitere Bestände außer Nutzung stellen. Aber natürlich brauchen wir auch den Rohstoff Holz und auch den Energieträger Holz in Zukunft. Biomasse spielt natürlich auch eine Rolle – vielleicht nicht so eine große, wie sich das die Biomasse-Verbände wünschen würden. Eine völlige Außer-Nutzung-Stellung der Wälder entspricht ja auch nicht der Mission des WWF. Diese geht von einem Miteinander von Natur und Mensch aus und nicht von einem Nebeneinander.

Wie sieht es aber jetzt mit Naturräumen als Kohlenstoffsenke aus?

Simons: Ich brauche den Wald auch als Kohlenstoffsenke, natürlich! Das ist enorm wichtig und wird in den Berechnungen oft vergessen. Sollten wir unsere Klimaziele nicht erreichen, dann nicht nur deshalb, weil wir zu langsam sind und zu wenig ambitioniert. In den Medien und im politischen Diskurs konzentrieren wir uns fast ausschließlich darauf, dass wir Emissionen reduzieren müssen. Selbst wenn wir alle unsere feierlich gelobten Selbstbeschränkungen ab sofort umsetzen würden, werden wir sie auch deshalb nicht erreichen, weil wir auf die Kohlenstoffsenken wie etwa die Moore vergessen. Es ist enorm wichtig, dass diese Speicherkapazität nicht verloren geht. Auch das muss noch viel mehr Eingang in die öffentliche Diskussion finden, weil auch das ganz entscheidend in der Bewältigung der Klimakrise sein wird.

Freidhager: Was bedeutete Forstwirtschaft traditionellerweise in den vergangenen 200 Jahren? Holzproduktion! Ganz einfach, weil Holz – neben Jagd und dem Wildbret – das einzig marktfähige Produkt aus dem Wald war. Die Forstwirtschaft ist ja aus Holznot heraus entstanden. Das ganze Salzkammer gut war einmal leer geschlägert, weil alles verheizt wurde für die Salzgewinnung. Irgendwann einmal kam die große Einsicht, dass das nicht mehr ewig so weitergehen könne, und es wurden Forstschulen und die Forstfakultät gegründet. Ich stehe zu 100 % für eine nachhaltige Holzproduktion. Nun kann ich die Kohlenstofffixierung draußen im Wald realisieren, aber auch in Holzbauten und in Holzmöbeln. Und gerade bei Holzbausystemen und Komponenten hat die österreichische Holzindustrie Enormes geleistet in der Forschung und Entwicklung – Stichwort Brettschicht- und Brettsperrholz. Heute werden damit Holzhäuser gebaut, die 100 m und höher sind. In Tokio wollen sie einen ganzen Stadtteil aus Holz fertigen. Das Holz als Baustoff wird also immer wichtiger werden. Aber immer unter der Prämisse, dass alle anderen Anforderungen an den Wald dabei nicht verloren gehen, sonst habe ich Probleme an anderen Stellen. Und da sage ich: Wir werden das alles nur schaffen, wenn wir die Wildstände unter Kontrolle haben. Wir brauchen ökologisch tragbare Wildstände. Das bedeutet, dass die am Standort natürlich vorkommenden Baumarten sich auch ohne Schutzmaßnahmen verjüngen können.

Matulla: CO2-Speicherung ist etwas enorm Wichtiges. Wir müssen verjüngen, sonst haben wir nicht die Senkenwirkung!

Freidhager: So ist es! Im Flysch-Wienerwald etwa steigen wir um auf ein Dauerwaldmodell. Das bedeutet, ich habe einen Zielvorrat von etwa 350 fm/ha. Und dann schöpfe ich jedes Dezennium den Zuwachs ab – hier vielleicht 7fm/ha.a, das wären im Dezennium also 70 fm. Und das geht ewig so weiter. Ich kann dazu auch noch die Baumartenverteilung verändern und etwa mehr Tanne einbringen. Und dabei wird man keinen Kahlschlag mehr sehen. Wenn wir hin und wieder einmal einen Kahlschlag im Wienerwald vornehmen, dann deshalb, um Eiche zu pflanzen. Damit werden wir die Fläche immer in Produktion halten. Auf genau definierten Rückegassen holen Erntemaschinen ganz boden- und bestandesschonend das Holz aus dem Wald. Schon kurze Zeit später sieht man nicht mehr, dass hier überhaupt Holz geerntet wurde.

Ein Forstmeister aus Oberkärnten hat mir unlängst über den desaströsen Zustand der Forststraßen in seiner Region berichtet. Diese sind nach Starkregenereignissen der jüngsten Zeit arg in Mitleidenschaft gezogen. Und das ist eine Krise in der Krise, weil man behördlich verordnete Räumungen nach Käferkalamitäten gar nicht mehr durchführen kann. Wie ist der Zustand der Forststraßen bei den ÖBf und steigt der Aufwand für deren Erhaltung?

Freidhager: Wir haben Schäden an Forststraßen jedes Jahr – en gros und en detail. Und da muss man einfach Millionen investieren und die Wege wieder herrichten. Ich habe Bilder vom letzten Windwurf in Kärnten: Brutal steile Lagen. Aber bevor man zu diesen Windwurfhängen kommt, ist die Straße auf 100 m abgerutscht. Dann heißt es einfach: die Straße wieder instandsetzen.

Mattula: Oft sind es aber gerade die Straßen, die diese Hangrutschung auslösen, weil durch den Einschnitt in den Hang die Gleithorizonte relativ rasch erreicht werden! Wir haben hier Studien ­– teilweise für die ÖBB – erstellt. Das ist zum Teil leider selbst gemacht.

Freidhager: Wir können ruhig die Windwürfe auf 1500 m Seehöhe liegen lassen.

Mattula: Also, das würde ich nicht machen!

Freidhager: Aber dann muss ich Ihnen die Frage stellen: Wie komme ich hin?

Mattula: Na, mit den Erntemaschinen, wie Sie das gerade geschrieben haben.

Freidhager: Ja, das das funktioniert im Wienerwald, aber nicht auf den Steilhängen! Holznutzung etwa auf Steilhängen des Mölltales – das ist lebensgefährlich!

Plattner: Da braucht es eine Basisaufschließung und Seilkräne.

Freidhager: Auf den Abhängen des oberen Mölltales haben wir Windwürfe liegen. Und die Behörde sagt: In 6-8 Wochen möchte ich hier kein Windwurfholz mehr sehen. Denn sonst wird das eine Borkenkäferzucht da oben. Und die gehen inzwischen schon rauf bis 1600 m und höher. Wenn man sieht, wo die Forstarbeiter dort arbeiten, da würden wir von der Forststraße sicher nicht runtergehen! Zuerst muss ich das Holz mal zur Forststraße bringen, und dann über die Forststraße aus dem Wald hinaus transportieren. Denn sonst züchte ich die Borkenkäfer halt an der Forststraße, und dann wäre es besser, das Holz gleich im Hang liegen zu lassen! Ich garantiere Ihnen: Wenn Sie in diesen Extremlagen in einem Lastwagen sitzen, der das Holz aus dem Wald bringt, dann sagen Sie: "Ich steige aus! Da fahre ich keinen Meter mehr mit!" Da wird Ihnen schlecht! Und wenn dann solche Straßen beschädigt sind, müssen schnellstmöglich wieder repariert werden.

Aber dazu müssen Förderungen her! Das sind ja Klima-Folgeschäden! Daran schließt sich für mich die Frage: Wie sollen die Kosten für Klimawandel-Folgeschäden überhaupt aufgebracht werden?

Freidhager: Das ist in diesem Fall keine Diskussion für uns, weil wir im Eigentum der Republik Österreich sind. Wir haben einen jährlichen Straßenerhaltungsaufwand von etwa 5 Mio. €. Das reduziert schlicht und einfach die Dividende für die Republik oder sie bekommt gar keine! Anders gesagt: Förderungen sind eine Frage des Privatwaldes.

Simons: Es ist völlig richtig, hier finanzielle Anreize zu setzen! Das ist Aufgabe der Politik! Denn immerhin subventionieren wir in Österreich laut Wifo umweltschädliches Verhalten im Ausmaß von 5 Mrd. € pro Jahr! Und dieses Geld umzuleiten in Förderungsmaßnahmen und Anreize für Natur- und Klimaschutzmaßnahmen, das wäre aus unserer Sicht klar die Aufgabe der Politik! Steuern sind zum Steuern da! Das heißt, man muss es auch den Waldbesitzern erleichtern, diese Maßnahmen, die wir heute besprochen haben, umzusetzen, indem sie gezielt Förderungen kriegen und dafür umweltschädliche Subventionen gestrichen werden.

Freidhager: Oder, Frau Simons, dass der Waldbesitzer dafür, dass er klar definierte Ökolosystem-Dienstleistungen erbringt, eine faire Abgeltung bekommt.

Simons: Selbstverständlich!

Matulla: Darum geht es jetzt sehr stark! Der Wert von Dingen wird für uns Menschen leider erst dann erfassbar, wenn ein Preisschild daran hängt. Das ist einfach so. Und genau darum geht es, wenn wir Ökosystems-Dienstleistungen bewerten. Denn der Mensch muss begreifen, dass das ein Wert ist!

Freidhager: Ganz genau!

Plattner: Wir setzen uns gerade bei diesem Thema Forststraßen auch mit den Ökologen auseinander. Denn Forststraßen sind oft schon vor Jahrzehnten gebaut worden. Und da ist manches nicht so gut gebaut worden! Denn damals hat es andere Zielsetzungen und Interessen gegeben. Und heute müssen wir damit leben, aber wir haben daraus gelernt! Jetzt sind wir im Projektabschluss, und unlängst haben wir die Ergebnisse im Rahmen einer Enquete zum Thema “Biodiversität an Forststraßen” präsentiert. Die begleitenden Böschungen sind  nämlich für viele Arten ein interessanter Ersatzlebensraum! Wir haben uns das mit dem Ökobüro in Graz genau angesehen: Es kommen über 40 Rote-Listenarten auf den 1000 km² Böschungen entlang von Forststraßen in Österreich vor! Damit will ich jetzt nicht die Straße schönreden! Das ist zweifelsohne ein Eingriff in das Waldökosystem, aber man hat in den letzten 30 Jahren sehr viel dazu gelernt! Da gibt es Best Practice und daraus abgeleitete Leitlinien. Das soll unter anderem zeigen, wie Naturraum-Management in Österreich funktioniert. Von Seiten der Behörde sollte hier auch viel stärker eingegriffen werden. Hier muss besser geplant werden! Das sollte nicht jedem Waldbesitzer selber überlassen bleiben! Wie kann ich etwa ganze Waldhänge optimal erschließen, unabhängig vom Eigentum, damit etwaige negative Folgen minimiert werden können.

Matulla: Man sollte hier aber ein bisschen holistischer denken! Bei diesem Thema muss man die Geologie berücksichtigen, die Geomorphologie, die Vegetationszone, etc. Denn sonst hat man die Hangrutschungen, und die sind induziert, das kann ich zeigen!

Freidhager: Da gebe ich Ihnen völlig recht! Aber was hat sich in den 1970er und 80er Jahren abgespielt? Es hat ein Interesse gegeben: Waldaufschließung. Die Bundesforste sind hier Vorreiter gewesen.

Plattner: … auch mit schlechten Beispielen!

Freidhager: … mit einer Reihe von haarsträubenden Straßen! Ich komme ja aus dem Oberösterreichischen Steyrtal – heutiger Nationalpark Kalkalpen. Als ich Ende der 1980er Jahre bei  den Bundesforsten angefangen habe, war mir klar, dass diese Art des Straßenbaus, wie er von den Bundesforsten häufig betrieben wurde, auf Dauer nicht akzeptabel sei und Folgen haben werde. In der Zeit hat sich in meiner Heimat eine Gruppe von Studenten zusammen getan und die Alpenvereinssektion Molln gegründet. Danach sind in den Oberösterreichischen Nachrichten die ersten Flugaufnahmen aufgetaucht vom Reichraminger Hintergebirge – die den Forststraßenbau der ÖBf massiv angeprangert haben Die Überschrift war: „Schützt den Wald vor den Bundesforsten!“ Diese Kritik hat sich in den folgenden Jahren gesteigert und das Image der Bundesforste entsprechend beschädigt. Was lernen wir daraus? Die Österreichischen Bundesforste haben nicht bzw. zu spät realisiert, dass sich in der Öffentlichkeit Interessenslagen in Richtung Natur- und Umweltschutz verschoben haben. Das Beharren auf alten Verhaltensmustern hatte für die ÖBf Konsequenzen: Heute gibt es in dieser Region den Nationalpark Kalkalpen mit rd. 20.000 ha.

Ich würde jetzt zum Schluss noch jeden von Ihnen bitten, ein Abschluss-Statement zu geben!

Simons: Wir brauchen inmitten der Klima- und Biodiversitätskrise endlich wieder einen lebendigen Wald! Das beinhaltet auch den Wirtschaftswald. Wir stehen nicht auf dem Standpunkt, dass man über den Wald eine Käseglocke stürzen sollte! Wir brauchen wieder einen lebendigen Wald mit Artenvielfalt und Strukturreichtum – um Mensch und Klima zu schützen, aber auch für die Wiederherstellung der Biodiversität!

Mattula: Ich denke auch, dass es wichtig ist, den Wald nachhaltig zu bewirtschaften, um ihn als CO2-Senke nutzen zu können. Der Klimawandel wird dazu führen, dass sich die natürlichen Vorkommen von Baumarten verschieben werden. Es wird im Sommer weniger Regen als im Winter. Im Winter wird es dann weniger Schnee als Regen geben. Die Temperaturen werden steigen, es wird mehr Dürreperioden geben. Wir werden bei gleichbleibender Jahresniederschlagssumme die Niederschläge durch wenigere, heftigere Niederschlagsereignisse bekommen. Die Naturverjüngung ist aber auch ein entscheidendes Thema für die Zukunft. Wir sehen das in der Schweiz und in Liechtenstein, wo das lange Zeit vernachlässigt worden ist. Dort gibt es jetzt Probleme mit Steinschlag und Hangrutschungen.

Sie raten aber auch dazu, dass man nicht in Hysterie verfallen soll. Wie sollen wir es also angehen?

Mattula: Ich möchte sagen, dass der Klimawandel sicher dramatisch sein wird. Er ist sicherlich eine große Herausforderung für die Menschheit. Ich denke, wir sollten als Erdenbewohner gemeinsam handeln. Das hat ja auch schon funktioniert beim Ozonloch und beim Sauren Regen. Das Ganze ist ein Marathon, und den gewinnt man nicht auf den ersten 10 m.

Plattner: Ich muss immer die Gesamtheit der Fläche und der Interessen – in unserem Fall der Bundesforste – betrachten. Das ist nicht nur der Wald, das sind auch die Moore und die Gewässer, das sind alpine Lebensräume und auch die Gletscher. Und diese Interessen müssen so gut wie möglich dargestellt, hinterfragt und in Balance gehalten werden. Und das kann von einem In-Ruhe-Lassen bis zu einem aktiven Management im Sinne von Bewirtschaftung und Nutzung der Ressourcen gehen.

Freidhager: Ich glaube, diesen Interessensausgleich sollte man immer vor Augen haben! Wir verstehen bei den Bundesforsten auch, dass das ein lebendiges Gebilde ist. Manche Interessen werden wichtiger – und dazu zähle ich auch die Biodiversität! Die Holzproduktion wird auch in Zukunft im Kampf gegen den Klimawandel eine wichtige Rolle spielen. Wir werden auch in Zukunft diesen Interessensausgleich herbeiführen. Wir sollten dabei wachsam sein und offen sein, zielgerechtet, transparent und mit guter Kommunikation nach außen!

Simons: Den einen Satz möchte ich noch sagen: Ich wünsche mir, dass wenn in ein paar Jahren Menschen im Wald Totholz sehen, sie nicht sagen: “Hier wurde wieder einmal nicht zusammen geräumt”, sondern dass sich die Leute freuen und sagen “Da wird etwas richtig gemacht!”

Plattner: Ich danke Ihnen allen für das Kommen trotz des Virus und für das gemeinsame Vorausschauen und Vorausdenken!