Wie das Ökosystem Wald selbst ist auch seine Bewirtschaftung ein komplexes System mit vielen Akteuren. Um den negativen Folgen des Klimawandels zu begegnen und gleichzeitig eine nachhaltige Waldbewirtschaftung zu gewährleisten, müssen Maßnahmen immer im Kontext der bestehenden institutionellen Strukturen betrachtet werden. Damit wissenschaftliche Erkenntnisse – etwa in Form von Herkunftsempfehlungen – in die Praxis umgesetzt werden können, braucht es eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschung, Praxis, Politik bis hin zur Saatgutproduktion.
Vor diesem Hintergrund fand im März im Rahmen des Biodiversa-Projektes ACORN ein internationaler Stakeholder-Workshop statt. Über 150 Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen europäischen Ländern diskutierten aktuelle Erkenntnisse zur klimaangepassten Forstwirtschaft sowie rechtliche Rahmenbedingungen, wobei Ergebnisse aus der forstgenetischen Forschung, deren praktischer Nutzen und die gezielte Verwendung von forstlichem Vermehrungsgut im Fokus standen.
Klimawandel europaweit in den Wäldern spürbar
Ein zentrales Ergebnis dieses Austausches lässt sich vorwegnehmen: Die Folgen des Klimawandels sind europaweit spürbar und stellen Wälder und Forstwirtschaft vor große Herausforderungen. Steigende Temperaturen, veränderte Niederschläge, häufigere Extremwetterereignisse und zunehmender Schädlingsbefall verursachen bereits heute erhebliche Schäden. Diese Entwicklungen gefährden langfristig die Stabilität der Waldökosysteme sowie deren Schutz- und Nutzfunktionen. Studien zeigen, dass das Tempo der klimatischen Veränderungen die Anpassungsfähigkeit vieler Baumarten übersteigt. Da viele Arten lokal angepasst sind, führt der rasche Klimawandel zunehmend zu Fehlanpassungen. Zahlreiche heimische Baumarten zeigen Anzeichen klimabedingter Schwächung. Die bisher weit verbreitete Annahme, dass lokales Vermehrungsgut stets die beste Wahl ist, lässt sich unter sich stark verändernden Klimabedingungen nicht mehr uneingeschränkt aufrechterhalten. Daraus ergibt sich die grundlegende Frage, wie die Forstwirtschaft auf diese Veränderungen reagieren kann.
Strategien für klimaresiliente Wälder
Neben dem zentralen Ansatz, das Baumartenportfolio durch klimaresilientere heimische Alternativen oder nichtheimische Arten zu erweitern, stellt die Nutzung der innerartlichen genetischen Vielfalt – ein Konzept mit forstlicher Tradition (Stichwort Herkunftsversuche) – ein besonders wirkungsvolles Werkzeug dar. Baumarten sind keine homogenen Einheiten, sondern bestehen innerhalb ihrer teils weitreichenden Verbreitungsgebieten aus genetisch unterschiedlichen Linien oder Populationen, die sich durch evolutionäre Prozesse differenziert oder an ihre lokalen Umweltbedingungen angepasst haben. Hieraus können sich Unterschiede in Merkmalen wie Wachstum, Morphologie, oder eben der Stressresistenz ergeben, die gezielt genutzt werden können, etwa durch die Auswahl besonders geeigneter Herkünfte oder durch eine Erhöhung der genetischen Vielfalt innerhalb eines Bestandes. Moderne molekulargenetische Methoden ermöglichen heute eine hochauflösende Analyse genetischer Strukturen und ihrer Umweltinteraktionen. In Verbindung mit Herkunftsversuchen bilden sie die Grundlage für Maßnahmen wie gezielten Saatguttransfer – sei es durch Verschiebung ganzer Arten („Assisted Migration“) oder durch Auswahl robuster Herkünfte im Ursprungsgebiet („Assisted Gene Flow“). Ziel ist es, genetische Eigenschaften gezielt in zukünftige Waldbestände einzubringen und deren Resilienz zu steigern.
Forschung, Regulierung und Praxis im Dialog
Wie Erkenntnisse zur klimatischen Anpassung von Baumarten gewonnen werden können, zeigte Dr. Charalambos Neophytou von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) beziehungsweise der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) in einer einführenden Keynote anhand des Projekts ACORN. Dieses untersucht die Trockenheitsanpassung verschiedener Eichenarten mithilfe genetischer und ökologischer Analysen, um klimaresiliente Saatgutquellen zu identifizieren. Im Fokus steht dabei die Frage, ob sich neben großräumigen Anpassungsmustern zwischen Südost- und Mitteleuropa auch kleinräumige Unterschiede, beispielsweise innerhalb eines Waldgebiets mit stark variierenden Standortbedingungen, zeigen.
Neben klimatischer Anpassung können auch zerklüftete Landschaften und komplexe Migrationsgeschichten zur Bildung regionaler genetischer Cluster beitragen – wie Projektergebnisse aus rund 30 Flaumeichenbeständen im mitteleuropäischen Raum zeigen. Innerhalb dieser Cluster liefern physiologische und genomische Untersuchungen erste Hinweise auf lokale Anpassung, etwa eine erhöhte Wassernutzungseffizienz bei Nachkommen aus trockenen Standorten im Vergleich zu benachbarten Beständen. Die Verbindung solcher physiologischen Merkmale mit genetischer Variation ist ein zentrales Ziel des ACORN-Projekts, betonte Neophytou.
Um solche Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen, müssen sie mit den rechtlichen Rahmenbedingungen übereinstimmen. Dr. Mirko Liesebach vom Thünen-Institut für Forstgenetik gab einen Überblick über die aktuelle Rechtslage. Die Produktion und der Handel mit forstlichem Vermehrungsgut (FVG) unterliegen der EU-Richtlinie 1999/105/EG und dem OECD-Schema für Drittstaaten, die Mindestqualitätskriterien und Herkunftsidentifikation regeln. Diese Vorschriften werden derzeit überarbeitet, und eine neue EU-Verordnung soll künftig direkt gelten. Ob sie den Klimaherausforderungen gerecht wird, ist unklar. Zudem unterliegt die Verwendung von FVG nationalem Recht, wobei es teils große Unterschiede zwischen den Ländern gibt. Herkunftsempfehlungen der Länder zielen darauf ab, die forstliche Praxis bei der Auswahl von Saatgutquellen zu beraten, so dass eine gute Qualität und Produktivität gewährleistet und Anbaurisiken minimiert werden. Allerdings orientieren sich solche Herkunftsempfehlungen bislang eher an geografischer Nähe und historischer Anpassung als an zukünftigen klimatischen Bedingungen. Es stellt sich somit nicht nur die Frage nach geeigneten Herkünften oder Arten, sondern auch, wie sich neue Empfehlungen in einem dynamischen regulatorischen Umfeld umsetzen lassen. Liesebach betonte zudem, dass der Bedarf an FVG künftig stärker grenzüberschreitend betrachtet werden muss. Auch die Produktion von FVG steht vor wachsenden Herausforderungen: Unregelmäßige Mastjahre und sinkende Erträge erschweren die Saatgutgewinnung und erhöhen das wirtschaftliche Risiko. Viele Erntebestände wurden zudem ursprünglich für die Wertholzproduktion angelegt, was ihre technische Nutzung zur Saatgutgewinnung erschwert. Wie also auf praktischer Seite reagieren?
Wird nur Saatgut importiert, bleibt das Risiko der Schädlings-Einschleppung gering. © Julita / Pixabay
Erfahrungen aus Kanada
Eine internationale Perspektive bot hierzu Prof. Dr. Sally Aitken (University of British Columbia, Vancouver), die weltweit durch ihre Forschung zur Anpassung von Baumarten an den Klimawandel bekannt ist. Auch in Kanada wurden viele natürliche Wälder durch forstwirtschaftlich geprägte Bestände ersetzt – mit teils gravierenden Folgeschäden. Als Reaktion wurden bereits in den 1960er- und 70er-Jahren umfassende Forschungs- und Züchtungsprogramme gestartet, die sich auf genetische Variation und den Aufbau von Saatgutplantagen konzentrierten – heute wichtige Quellen für hochwertiges Vermehrungsgut. Doch stellt sich die Frage, welche Herkünfte an welchen Standort einzubringen sind.
Aitken betonte, dass sich die Wahl der Herkunft am Standort als auch an den zukünftigen Klimabedingungen orientieren sollte. Bei windbestäubten Baumarten sei das Risiko einer Fehlanpassung durch gezielte Transfers innerhalb des natürlichen Verbreitungsgebiets gering, wobei Verbringungen entlang von Breitengraden als risikoärmer gelten als solche entlang eines Höhengradienten. Entscheidend für die Anpassung sei das Jugendstadium der Bäume. Da sie in dieser Phase besonders frostgefährdet sind – weshalb die Distanz eines Saatguttransfers möglichst geringgehalten werden sollte. Wichtig sei, ausschließlich Saatgut – nicht Jungpflanzen – zu verbringen, um das Risiko der Einschleppung von Schädlingen zu minimieren. Aitken empfahl zudem, genetisch angepasste Herkünfte durch natürliche Verjüngung zu ergänzen, um die genetische Vielfalt zu fördern und natürliche genetische Strukturen zu bewahren. Verschiedene Anpassungsstrategien sollten dabei nicht als Alternativen, sondern als kombinierbare Ansätze verstanden werden.
Europäische Sichtweisen, Sprache und Wahrnehmung
Im Anschluss an die Vorträge wurde in Diskussionen und mithilfe eines Fragebogens erhoben, wie die Teilnehmenden die Folgen des Klimawandels und mögliche Anpassungsstrategien einschätzen. Die Arbeit in regionalen Gruppen diente der Überwindung sprachlicher Barrieren und machte geografische Unterschiede in der Wahrnehmung sichtbar. Deutlich wurde: Untätigkeit ist keine Option. Unterschiede zeigten sich jedoch bei der Bewertung möglicher Maßnahmen. So wurde der Einsatz heimischer Alternativbaumarten überwiegend positiv gesehen, während nichtheimische Arten auf geteilte Reaktionen stießen. Besonders bemerkenswert: Der gezielte Einsatz klimaresilienter Herkünfte fand breite Zustimmung, der nahezu gleichbedeutende Begriff „Assisted Gene Flow“ hingegen deutlich weniger. Das zeigt, dass neben wissenschaftlichen Argumenten auch Sprache und Begriffswahl entscheidend für die Akzeptanz von Maßnahmen sind.
Webtipp: www.acorn-biodiversa.net
BiodivERsA-Projekt ACORN Konsortium: Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) und Austrian Institute of Technology (AIT) – Österreich, Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA) – Deutschland, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) – Schweiz, Aristoteles Universität Thessaloniki (AUTh) – Griechenland, Nationaler Botanischer Garten und Technische Universität des mittleren Ostens – Türkei